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    old manuscript

    Ora et Labora

    Gebet und Arbeit lassen sich vereinen. Benedikt von Nursia zeigt wie.

    von William P. Hyland

    Freitag, 11. Juli 2025

    Verfügbare Sprachen: English

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    Italien war im späten 5. Jahrhundert in vielerlei Hinsicht ein schwieriger Ort. Das Römische Reich war kurz zuvor zusammengebrochen und durch ein gotisches Königreich ersetzt worden. Die neuen Herrscher waren arianische Christen, die die vollständige Göttlichkeit Christi leugneten und bei der katholischen Bevölkerung auf tiefes Misstrauen stießen. Die Situation wurde zusätzlich durch byzantinische Armeen destabilisiert, die die Halbinsel für ein römisches Reich zurückzuerobern wollten, das nun vom fernen Konstantinopel aus regiert wurde. In diese Welt der Gewalt und Unordnung wurde um das Jahr 480 ein junger Adliger geboren, der als der heilige Benedikt von Nursia in die Geschichte eingehen sollte. Es wird berichtet, dass er als junger Mann nach einem kurzen Studienaufenthalt in Rom von den dortigen Lebensverhältnissen angewidert war und sich für eine Zeit lang als Einsiedler aufs Land zurückzog. Schließlich widmete er sich einem Leben in Gebet und Einsamkeit in einer Höhle in Subiaco und gründete später mehrere Klöster, darunter das berühmte Monte Cassino. Papst Gregor der Große schrieb seine Lebensgeschichte, in der er zahlreiche Wunder auflistete, die mit Benedikt in Verbindung gebracht wurden. Der heilige Mönch starb im Jahr 547.

    medal of saint benedict

    Medaille des Heiligen Benedikt. Alle Grafiken von Wikimedia Commons (public domain).

    In seinen späteren Lebensjahren verfasste Benedikt seine Mönchsregel. Das Mönchtum florierte seit dem dritten Jahrhundert und Benedikt war in vielerlei Hinsicht Erbe dieser Tradition. Er wurde unter anderem von den Wüstenvätern Ägyptens, dem Griechen Basilius dem Großen und dem Lateiner Johannes Cassian beeinflusst und stützte sich auch auf einen langen Text namens Regula de rebus institutis (Regel des Meisters). Die Regel des Benedikt ist jedoch in hohem Maße sein eigenes Meisterwerk, in dem er die Weisheit des östlichen Christentums und die römische Begabung für Struktur und Organisation vereint. Im Vergleich zu früheren Schriften betont sie Ausgewogenheit und Mäßigung in Fragen der Askese. In den 1500 Jahren ihres Bestehens ist seine Regel zum führenden Leitfaden im westlichen Christentum für Männer und Frauen geworden, die in benediktinischen Gemeinschaften leben, darunter viele Ableger wie die Zisterzienser und Trappisten. Warum erwies sie sich als so erfolgreich und einflussreich?

    Im Vergleich zu früheren Klosterordnungen bietet die Regel einen moderaten Weg, der sich auf die spirituelle Entwicklung der Mönche in einer Gemeinschaft konzentriert. Der gesamte Besitz wird geteilt und alle werden entsprechend ihren Bedürfnissen versorgt. Sie bietet einen Rahmen, um unter einem geistlichen Vater Ordnung und Führung zu schaffen, die die Entwicklung des Einzelnen in der christlichen Heiligkeit auf dem Weg zum ewigen Leben unterstützen und stärken. Die Regel beginnt mit einem ermahnenden Prolog, in dem Benedikt die wichtigsten Grundsätze des religiösen Lebens darlegt. Unter Verwendung militärischer Metaphern, die seinem römischen Publikum vertraut waren, betont er die Entsagung des eigenen Willens und empfiehlt sich „mit den starken und edlen Waffen des Gehorsams unter dem Banner des wahren Königs Christus, des Herrn“ zu wappnen. Benedikt macht sich daran, eine „Schule für den Dienst des Herrn“ zu gründen, in der „der Weg zum Heil“ gelehrt werden soll, damit seine Jünger durch das Ausharren im Kloster bis zum Tod „durch Geduld an den Leiden Christi teilhaben [können], damit auch sie würdig werden, an seinem Reich teilzuhaben“. Anschließend führt er in 73 Kapiteln seine Lehren aus, darunter die berühmten zwölf Stufen der Demut, die Organisation der Liturgie, die zentrale Bedeutung der Gastfreundschaft und die Verwaltungsstruktur der Abtei, einschließlich der Wahl des Abtes.

    Aber sind diese großen Taten des Heiligen Geistes wirklich schöner als dieser fromme und von Herzen kommende Wunsch, einem Mitmenschen in emotionaler Not zu helfen?Die Regel gliedert den Tag in Zeiten für Gebet, spirituelle Lektüre und manuelle Arbeit. Das Herzstück des Tages ist der liturgische Gebetszyklus, von den Gebeten vor Tagesanbruch bis zur Komplet, der letzten Liturgie vor dem Schlafengehen. Diese liturgischen Stunden rahmen andere Zeiten ein, die für verschiedene Arten von Handarbeit und geistlicher Lesung (lectio divina) vorgesehen sind, der langsamen, gebetsvollen Betrachtung der Heiligen Schrift, gefolgt von Kontemplation.

    Die Struktur des Klosteralltags spiegelt eine grundlegende Haltung gegenüber allen menschlichen Aktivitäten wider. Jede Handlung sollte so ausgeführt werden, dass sie Gott verherrliche. Die drei Gelübde, die von einem Mönch verlangt wurden, nämlich die fortwährende Bekehrung des Lebens, der Gehorsam gegenüber der Regel und dem Abt und schließlich die Stabilitas – also die Verpflichtung, bis zum Tod in der Gemeinschaft auszuharren –, waren das Mittel, um diese Haltung der Empfänglichkeit für Gottes Gnade in jedem Augenblick des lebenslangen Weges der Heiligkeit zu erreichen. Das ganze Leben sollte ein Opfer sein, „damit Gott in allen Dingen verherrlicht werde“. Die Aktivitäten, aus denen sich der Tag zusammensetzte, sollten sich gegenseitig bereichern und waren letztlich keine voneinander getrennten Bereiche. So wurde beispielsweise das Stundengebet, die formelle Zeit des liturgischen Gebets, als „Werk Gottes“ bezeichnet. Die geistliche Lesung wurde als „göttliche Lesung“ bezeichnet. Und die Handarbeit, der immer ein stilles Gebet vorausging, sollte Gott geopfert werden. So betrachtet, erkennen wir, dass Benedikt das ganze Leben als Gebet verstand. Ebenso bezieht sich das benediktinische Motto ora et labora (bete und arbeite) letztlich nicht auf getrennte, sondern auf die Integration beider Tätigkeiten.

    Die mittelalterliche Heiligen-legenden-Tradition hat über die Jahrhunderte hinweg zwar dramatische Askese und Martyrium betont, aber auch den bescheidensten Handlungen in unserem spirituellen Leben einen zentralen Stellenwert eingeräumt. Dies gilt auch für die Erzählung des Heiligen Benedikts aus dem 6. Jahrhundert von Papst Gregor dem Großen. Wie in der gesamten mittelalterlichen Hagiographieliteratur bilden Wunder, die Gott durch die Fürsprache des Heiligen wirkt, einen wichtigen Teil der Erzählung. Laut Gregor war das allererste Wunder, das Benedikt vollbrachte, die Reparatur einer „Multer“ (ein Sieb zur Reinigung von Getreide), das seine Amme versehentlich zerbrochen hatte. Er schreibt:

    Als aber der fromme und gute Knabe Benedikt seine Amme weinen sah, hatte er Mitleid mit ihrem Schmerz; er nahm die beiden Stücke und begab sich unter Tränen ins Gebet; als er vom Gebete aufstand, fand er die Multer neben sich so wiederhergestellt, daß keine Spur von dem Bruch mehr an ihr bemerkt werden konnte. Mit freundlichen Worten tröstete er die Amme und gab ihr die Multer, die er zerbrochen mit sich genommen hatte, ganz zurück.footnote

    old manuscript

    Eine Handschrift der Regel des heiligen Benedikt aus dem 8. Jhdt. 

    Gregor zufolge soll Benedikt später vor Königen prophezeit, Kranke geheilt und sogar Tote auferweckt haben. Aber sind diese großen Taten des Heiligen Geistes wirklich schöner als dieser fromme und von Herzen kommende Wunsch, einem Mitmenschen in emotionaler Not zu helfen? Sein Leben und seine Regel sind voller Aufmerksamkeit für die kleinen Dinge, wie die Pflege der Kranken und die Gastfreundschaft gegenüber allen Menschen. Benedikts Beschreibung der Pflichten des Cellerar, des für die Güter des Klosters zuständigen Beamten, ist bezeichnend:

    Der Kranken, Kinder, Gäste und Armen nehme er sich mit aller Sorgfalt an, fest überzeugt, daß er wegen dieser aller am Tage des Gerichtes wird Rechenschaft ablegen müssen. Alle Gerätschaften und das ganze Besitztum des Klosters seien ihm so heilig wie Gefäße des Altares. Nichts erscheine ihm unwichtig. Er hüte sich vor Geiz, sei aber auch kein Verschwender und kein Vergeuder des Klostergutes, sondern halte in allem das rechte Maß ein und handle so, wie es der Abt befiehlt. Vor allem soll er Demut besitzen, und kann er einem nichts anderes geben, so schenke er doch eine freundliche Antwort; es steht ja geschrieben: „Ein gutes Wort ist besser als die beste Gabe.”

    painting of a saint

    Blair Barlow, Heiliger Benedikt, Öl auf Platte, 2019. Verwendet mit Genehmigung.

    Im Wesentlichen sind alle Gegenstände, die zum Kloster gehören, heilige Gefäße, wobei die Werkzeuge für die Feldarbeit und die Küche nicht weniger geschätzt und gepflegt werden müssen als die Gefäße für die Eucharistie. Alle Arbeit ist heilig. Und es gibt nichts Verschwenderisches oder Extravagantes. Der Kellermeister muss maßvoll, aufmerksam und gehorsam gegenüber dem Gesamtbild sein; demütig, aber vor allem gütig. In späteren Jahrhunderten nahmen intellektuelle Arbeit und Lehre, das Kopieren von Manuskripten, das Komponieren sowie Kunst und Architektur für viele Benediktiner neben der Landwirtschaft, dem Handwerk und anderen Formen körperlicher Arbeit ihren Platz ein. Es ist unglaublich, wie diese „Nebenprodukte“ von Benedikts Vision von „ora et labora“ auf ihre eigene stille und unerwartete Weise dazu beitrugen, eine neue mittelalterliche christliche Zivilisation zu schaffen, wie John Henry Newman eloquent bemerkte:

    Der heilige Benedikt fand die physische und soziale Welt in Trümmern vor, und seine Mission bestand darin, sie wiederherzustellen, so still, geduldig und allmählich, dass oft bis zur Vollendung des Werks nicht einmal bekannt war, dass daran gearbeitet wurde. Es war eher eine Wiederherstellung als eine Heimsuchung, Korrektur oder Bekehrung. Das neue Werk, das er mitgestaltete, war eher ein Wachstum als eine Struktur. Man sah stille Männer auf dem Land oder entdeckte sie im Wald, wie sie gruben, rodeten und bauten; und andere stille Männer, verborgen in der Kälte des Klosters, strengten ihre Augen an und konzentrierten sich auf ihre Arbeit, während sie mühsam die Manuskripte kopierten und wieder kopierten, die sie gerettet hatten. Niemand stritt oder schrie oder machte auf das Geschehen aufmerksam, aber nach und nach wurde aus dem bewaldeten Sumpf eine Einsiedelei, ein religiöses Haus, ein Bauernhof, eine Abtei, ein Dorf, ein Seminar, eine Schule und eine Stadt.footnote

    Diese Entwicklungen erwuchsen organisch aus dem Leben im Kloster, das sich auf den täglichen Ablauf der Liturgie und geistliche Lesungen konzentrierte. Benedikt sah darin in seiner Genialität die Quelle und Nahrung aller echten christlichen Tätigkeit. Dies musste sich aber auch ständig in guten Taten manifestieren, von denen einige groß und dramatisch waren, die meisten jedoch scheinbar banal und gewöhnlich. Eine Frucht davon war gelebte Gastfreundschaft gegenüber Reisenden und Flüchtlingen aller Art. Italien erlebte im sechsten Jahrhundert eine bedrückende und unerbittliche Zeit voller Kriege, Hungersnöte und Verwüstungen. In einem solchen Kontext bestand Benedikt weiterhin darauf, dass jeder Besucher so behandelt werden sollte, als wäre er Christus, und betonte die Notwendigkeit der bedingungslosen Nächstenliebe, der Achtung der kleinsten Aspekte der Menschenwürde und der Liebe und Verehrung der gesamten Schöpfung. Dieser Aspekt der Selbsthingabe oder Opfergabe ist heute mehr denn je notwendig, zusätzlich zur immerwährenden Berufung aller bekannten und unbekannten Heiligen, ob in Klöstern oder anderswo.

    Fußnoten

    1. bkv.unifr.ch
    2. John Henry Newman, “The Mission of St Benedict” (1858). Übersetzt aus dem Englischen.
    Von William P. Hyland William P. Hyland

    William P. Hyland lehrt Kirchengeschichte an der School of Divinity der University of St Andrews, Schottland.

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