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    Das theologische Buch

    Eine Vermisstenmeldung.

    von Daniel N. Herrmann

    Freitag, 11. Juli 2025
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    Ich halte regelmässig ausschau. Mindestens einmal in der Woche betrete ich eine der Buchhandlungen meiner Heimatstadt und schaue mir die Neuerscheinungen auf dem Buchmarkt an. Romane, Gedichte, neu aufgelegte Klassiker und Sachbücher für jeden erdenklichen Bereich menschlicher Neugier – beim Prozess des vielen Büchermachens ist wahrlich kein Ende abzusehen. Aber die Masse an neuen Büchern überdeckt irreführenderweise den Umstand, dass es Sparten gibt in der Buchhandlung, die im Verschwinden begriffen oder bereits gänzlich ausgestorben sind. Darunter auch diejenige, durch die ich das Lesen lieben lernte: das theologische Buch. Wo sind die Bücher, die von Gott handeln? Ich kann sie hier nicht mehr finden. All die schmucken neuen Publikationen, die unsere Erfahrung in allen möglichen Genres beschreiben und besingen, werden mich nicht darüber hinwegtrösten können, dass das Buch fehlt, das von Gott spricht.

    Natürlich gibt es nach wie vor die Möglichkeit, auf christliche Buchhandlungen auszuweichen, die eine landes- oder freikirchliche Kundschaft bedienen. Aber auch die scheinen sich, bei aller gegenseitigen Abgrenzung, mindestens darin einig zu sein, dass christliche Theologie die Menschen nicht mehr interessiert. Von landeskirchlicher Seite weicht man aus auf die Lyrik und die Romane, oder die kulturellen Einführungen in die Geschichte des Christentums. Freikirchliche Geschäfte hingegen bieten zwar noch eine Fülle an verschiedenen Bibeln und Bibellesehilfen an, aber auch sie machen ihr Geschäft vor allem mit christlicher Selbsthilfeliteratur, übersetzt aus Amerika. Was sich hier also noch verkaufen lässt, sind Bücher, die den christlichen Glauben vor dem Erfahrungshorizont des Menschen in der Gegenwart thematisieren, sei dies auf der Bildungsebene oder in der Form emotionalen Trostes. Aber dass es selbst in kirchlich gebundenen Geschäften immer schwieriger wird, an ein Taschenbuch von Augustins Bekenntnissen zu gelangen, ist eine bemerkenswerte Entwicklung.

    Man with spyglass on a stack of books

    Eine erfolgreiche Frau blickt in die Zukunft, Digitale Kunst, 2025. Werk von Cristina Conti. Verwendung mit Genehmigung.

    Mir dämmerte darum über die Jahre die Einsicht: Das Christentum verschwindet aus der Öffentlichkeit auch in Form seiner Bücher. Damit soll keine unwiederbringlich verlorene Vergangenheit betrauert werden. Mein Vorschlag ist nur der, den Buchmarkt und unsere Lesekultur als Spiegel der Gesellschaft zu lesen, in der wir leben. Denn bei näherer Betrachtung zeigt uns jedes Buchgeschäft von neuem, wie still es um die Frage nach Gott geworden ist. Sie wurde überwunden, auch in der Kirche, von der allgegenwärtigen Frage nach dem guten Leben.

    Man kann die Dimensionen dieser kulturellen Verschiebung nur ermessen, wenn man sich daran erinnert, wie öffentlich präsent die christliche Theologie im vergangenen Jahrhundert noch war. Für die evangelische Theologie in der Schweiz war dies eine ausserordentlich lebendige Epoche, vergleichbar fast nur mit der reformatorischen Gründungszeit. Unzählige theologische Entwürfe wurden verfasst, die weit über das gewöhnliche Publikum hinaus gelesen wurden: Die Appelle der religiösen Sozialisten Kutter und Ragaz, die Bibelarbeiten von Adolf Schlatter, Karl Barths Römerbrief natürlich, oder Emil Brunners Unser Glaube. Walter Niggs Biografien oder Kurt Martis Mundartliteratur erreichten noch breitere Bevölkerungsschichten. Vom Katholiken Hans Küng nicht zu sprechen, dessen Bücher in der Schweiz, einem Volk bestehend aus religiösen Dissidenten, in jedem noch so bekenntnisfernen Haushalt landeten.

    All die schmucken neuen Publikationen, die unsere Erfahrung in allen möglichen Genres beschreiben und besingen, werden mich nicht darüber hinwegtrösten können, dass das Buch fehlt, das von Gott spricht.

    Weil ihre Publikationen im ganzen Land gelesen wurden, erwartete man viel von den theologischen Fakultäten. Nur zögerlich wagten es einige wenige, sich aus dem langen dogmatischen Schatten der Kirche herauszubewegen und an ihrem eigenen System zu tüfteln. Die meisten Professoren der Theologie verstanden ihre Tätigkeit als einen Dienst an der Kirche. Die Werke, die sie in ihren Schreibstuben produzierten, sollten die Gemeinden mit nahrhafter Theologie versorgen. Man stelle sich einmal vor: Manche aus der reformierten Pfarrschaft hatten beim Theologischen Verlag Zürich ein Abonnement inne, mit dem die neu veröffentlichten Bände von Karl Barths Kirchlicher Dogmatik gleich nach Hause geliefert wurden. Bei diesen gelehrten Wälzern handelt es sich nicht gerade um süffige Strandliteratur und doch fühlte sich Barth einmal genötigt, sich in einem Vorwort dafür zu entschuldigen, dass sein neuer Band nicht noch vor den Ferien herausgekommen sei, damit man den in den dortigen Mussestunden hätte studieren können.

    Solche Prominenz der Theologie liegt weit hinter uns. Theologische Bücher werden zwar nach wie vor geschrieben, aber die Auflagenhöhe ist gering und die breite Öffentlichkeit fehlt. In teuren Verlagen werden kluge Doktor- und Habilitationsarbeiten zu theologischen Entwürfen aus naher Vergangenheit veröffentlicht, in denen man sich zumindest noch in Zitaten in den Windschatten einstiger Gottesrede stellen darf. Aber gehaltvolle theologische Bücher, die einem breiten Publikum die Fülle des Glaubens vermitteln, sind im deutschsprachigen Raum frappierend rar geworden (und man wird sich einmal fragen müssen, warum die englischsprachige Theologie eine so gegenläufige Entwicklung durchgemacht hat). Die hiesige theologische Zunft scheint sich verabschiedet zu haben in den Raum der Journale und Fachdiskurse, wo man unter seinesgleichen ist. In der Öffentlichkeit entstand ein theologisches Vakuum, das seit Jahrzehnten opportun genutzt wird.

    Dieses Vakuum, könnte man sagen, wurde gefüllt mit dem Versprechen des Buches selbst. Erstaunlich ungebrochen ist die Bibliophilie auch in der digitalen Gesellschaft. Eine überforderte Gesellschaft findet beim Lesen eines Buches heilsame Entschleunigung, Rat und Trost, der zwar stiller, aber nachhaltiger zu wirken scheint als der unanständig schrille Lärm des Digitalen. Das Betreten einer Buchhandlung wird darum zu einem religiösen Erlebnis. Doch nicht in die Höhe, wie einst in den Kathedralen des Mittelalters, wird man hier verwiesen, sondern in die unergründliche Weite der Welt.

    Auch das Christentum, als kulturelles Phänomen unter anderen, kann in dieser Buchwelt durchaus noch auf Interesse stossen. Aber solches Interesse ist der beste Erweis von dessen Überwindung. Denn die sogenannte Säkularisierung erweist sich als erfolgreich, sobald der Kontakt zum christlichen Glauben nur noch von intellektueller Neugierde geleitet ist. Nicht mehr in den primären Formen von Gottesdienst, Predigt, Gesang und Gebet erfährt man diesen Glauben, sondern in Kirchenführungen, Museen, Städtetrips und Sachbüchern. Wie eine tote Sprache stehen die Relikte des alten Glaubens da für eine historisch interessierte Freizeitgesellschaft. Und dank des Verlusts der kirchlichen Deutungshoheit machen die Darstellungen des Jüngsten Gerichts in Kirchen oder die Höllenvisionen Dantes auch niemandem mehr Angst. Solche Exotismen aus ferner Vergangenheit werden geradezu als Faszinosum erfahren und bewundert.

    Bei näherer Betrachtung zeigt uns jedes Buchgeschäft von neuem, wie still es um die Frage nach Gott geworden ist.

    Das hat längst auch die theologische Publizistik gewittert. Sie sieht ihre Aufgabe nun darin, einer interessierten Öffentlichkeit die Schätze der Vergangenheit offenzulegen. Und sie tut das in überwiegender Mehrheit in dem unverfänglichen Modus der Geschichtsschreibung. Die Aufmerksamkeit, die der abendländischen Tradition damit zuteilwird, ist nicht unerfreulich, aus theologischer Sicht jedoch hochgradig ambivalent. Denn sobald die Kirchen und ihre theologische Intelligenz nur noch die kulturelle Glorie ihrer Geschichte dokumentieren, machen sie sich selber zum Museum. Was dabei auf der Strecke bleibt, ist die Perspektive, im christlichen Glauben eine lebendige Kraft für die Gegenwart zu erkennen.

    Schliesslich weichen auch seelsorgerlich die einstigen Bollwerke des Christentums den therapeutischen Surrogaten. Eine schier überwältigende Flut an Weltweisheit und Selbsthilfeliteratur bricht über die Menschen herein. Jetzt, da die Grenzpfähle der Orthodoxie umgerissen wurden, darf ohne Geländer nach allem gegriffen werden, was irgendwie helfen soll. Spiritualität, Psychologie und New Age schließen sich nicht gegenseitig aus, sondern sollen kumulativ das nervöse Selbst durchs Leben tragen. Einen »kulturellen Allesfresser» nennt der Soziologe Andreas Reckwitz das spätmoderne Subjekt. Seine Weltanschauung ist ein eklektisches, aus Büchern, Podcasts und Feuilleton-Artikeln zusammengesammeltes Selbsthilfekonglomerat. Die ungeheuren metaphysischen Widersprüche, die sich dabei ergeben, werden im Geiste eines menschenzugewandten Pragmatismus hingenommen.

    Die bekenntnisgebundene christliche Theologie hat sich in all dem leise und unbemerkt aus dem gesellschaftlichen Gespräch verabschiedet. Darin erweist sich der Buchmarkt tatsächlich als Spiegel unserer Gesellschaft. Von theologischer Seite betrachtet, ist diese Entwicklung jedoch vor allem das Resultat einer fehlgeleiteten theologischen Strategie: Sowohl beim kulturellen, als auch beim emotional-seelsorgerlichen Zugang zum Christentum handelt es sich um letzte apologetische Vorstösse, die den Glauben im öffentlichen Forum ohne Bekenntnisbindung plausibel machen wollten. Der diesseitige Konsens, der ihnen beiden zugrunde liegt, führte zum Verschwinden des theologischen Buches. Die Rede ist nicht mehr von Gott, sondern von uns Menschen, und unseren mannigfaltigen Vorstellungen und Vereinnahmungen Gottes.

    Eine Katastrophe für die Kirche bedeutet diese Entwicklung aber noch lange nicht. Es gibt aus theologischer Sicht keinen Grund anzunehmen, dass neue Publikationen grundsätzlich den grossen Werken, die uns von der Kirche überliefert wurden, vorzuziehen sind. Vielleicht verweist uns die Armut der gegenwärtigen theologischen Publizistik wieder zurück auf die Anfänge; auf die Bibel, die Psalmen, die unzähligen ungelesenen Schätze der Theologiegeschichte, die angestaubt und vergilbt in den Antiquariaten dieses Landes auf hungrige Herzen und wache Geister warten. Solche alten Texte können in diesem kulturellen Kontext erst recht wieder ihre subversive Kraft entfalten. Und wer weiss, vielleicht wird aus dem Überdruss des Humanen auch wieder das Schreiben einer Theologie erstehen, die es wagt, von Gott zu sprechen. Denn die Frage nach Gott bleibt bestehen – sie bleibt selbst im dichten Nebel der Immanenz die dringlichste all unserer Fragen.  

    Von Daniel N. Herrmann Daniel N. Herrmann

    Daniel N. Herrmann (*1996), lebt in Bern, ist reformierter Pfarrer und Doktorand in Systematischer Theologie.

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