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Die Liebe zur Schweißnaht
Mein Vater lehrte mich sein Handwerk und den Wert manueller Arbeit.
von Norann Voll
Freitag, 11. Juli 2025
Ich war in der oberstufe, als mir klar wurde, dass ich aus einer Proletarierfamilie kam. Wir mussten für den Geschichtsunterricht eine detaillierte Familiengeschichte schreiben. Ich war entsetzt: Mein Großvater, ein Fabrikarbeiter aus Birmingham, sprach im Dialekt der Unterschicht und hatte darüber nachgedacht, nach Australien zu fliehen, um ein besseres Leben zu führen. Sein Großvater war nämlich ein Wegelagerer, der zu viel trank und mit seiner Donnerbüchse in die Schornsteine vornehmer Salons schoss und lachte, wenn der Ruß die sauberen Häuser bedeckte.
Ich weiß nicht, warum mich diese Erkenntnis so verstörte. Sie kollidierte jedenfalls mit meiner jugendlichen Arroganz hinsichtlich meiner intellektuellen Fähigkeiten und meiner Überlegenheit gegenüber dem Rest der Welt.

Noranns Vater beim Schweißen eines Tors in Shropshire, England, 1959. Fotos mit freundlicher Genehmigung von Norann Voll.
„Wir sind nur ein Haufen Proleten“, jammerte ich meinem Vater vor. „Wir haben überhaupt keine Klasse.“ „Arbeiter halten die Welt am Laufen, Nora“, erinnerte er mich, wohl wissend, dass mein Bruder, der Klempner, und meine Schwestern, die Sekretärin und Köchin, in Hörweite waren. „Ich werde keiner sein“, antwortete ich.
So arbeitete ich nach der Schule in einem Büro, ging am Wochenende reiten und lernte fleißig, um nur Einser zu bekommen und die Geschichte meiner Familie neu zu schreiben.
Mein sonst so geduldiger Vater ließ mich nicht lange gewähren. Eines Abends, während unserer üblichen Familienrunde, in der wir seine Frage „Was hast du heute einem anderen Menschen Gutes getan?“ beantworteten, teilte mir mein Vater mit, dass ich nach der Schule nicht mehr im Büro arbeiten würde, sondern in der Metallwerkstatt helfen sollte, in der er als Vorarbeiter tätig war. Ich war nicht begeistert.
Mein Vater blieb ruhig: „Manchmal habe ich das Gefühl, dass du mich verachtest, weil ich keine höhere Bildung habe.“ Das traf mich. Mein Vater und ich standen uns sehr nahe. Wir liebten und respektierten uns, aber ich konnte nicht leugnen, dass dies in letzter Zeit etwas nachgelassen hatte.
Ich kannte die Geschichte meines Vaters – er hatte mit 14 Jahren die Regelschule verlassen und war kurz darauf auf eine landwirtschaftliche Internatsschule gewechselt. Die nächsten zwei Jahre stand er früh auf, arbeitete auf dem Bauernhof der Schule, besuchte Vorlesungen und lernte bis spät in die Nacht. Neben der Landwirtschaft erlernte er die Metallbearbeitung und fand sofort Gefallen daran. Später wurde dies zu seinem Hauptberuf, als er für eine Firma arbeitete, die Hoftore herstellte. „Wenn man mit Metall arbeitet, ist man nicht so vom Wetter abhängig wie in der Landwirtschaft“, sagte er.
„Gott hat uns Verstand und Hände zum Arbeiten gegeben. Er stellt das eine nicht über das andere.”
Mein Vater brachte allen seinen Kindern, die es lernen wollten, das Schweißen bei. Mein Bruder war der Erste, zwei meiner Schwestern folgten. „Frauen sind die besten Schweißer“, sagte mein Vater. „Sie arbeiten beim ersten Mal alles sauber und ordentlich. Nichts muss nachgebessert werden.“ Ich gehörte nicht zu diesen Frauen. Diese Art von Arbeit war unter meiner Würde.
Das änderte sich: An meinem ersten Tag in der Fertigungshalle war ich ziemlich verlegen. Ich senkte den Kopf, knöpfte die Schutzjacke zu, zog Handschuhe und Ohrstöpsel an. Mein Vater grinste, reichte mir eine Drahtbürste und zeigte mir einen Wagen mit geschweißten Teilen. Meine Aufgabe sei, erklärte er mir, diese Teile für die Lackierung vorzubereiten, die Schweißnähte zu bürsten und zu überprüfen. Ich schrubbte die Schweißspritzer weg, bis alles glatt war. Jede Schweißnaht musste makellos sein und das gesamte Teil musste mit einem Tuch sauber gewischt werden.
Die Arbeit war nicht schwer, aber monoton und schmutzig. Die Werkstatt war mir fremd: eine Kakofonie aus Industriegeräuschen, der ungewohnte Geruch von Schneidflüssigkeit aus den Fräsmaschinen und von verbranntem Metall, der in die Abzugshauben über den Schweißern aufstieg. Ich war an Bürogeplänkel, das Klappern von Tastaturen, den Geruch von Kaffee und Toner, saubere Arbeitsflächen, eine helle und luftige Atmosphäre und das Gefühl, wichtige Arbeit zu erledigen, gewöhnt.
Aus dieser ersten Woche wurde ein Monat. Jeden Tag erwartete mich ein neuer Satz derselben Metallteile, zusammen mit dem verschmitzten Grinsen meines Vaters. Anhand der Qualität der Schweißnähte und der Spritzer konnte ich schnell erkennen, wer gut schweißte und wer noch Anfänger war. Ich freundete mich mit den anderen Arbeitern an – Larry, einem Vietnamveteranen, Ruben, der im Gefängnis gesessen hatte, Chuck, einem sanften Riesen, dessen Tochter etwa in meinem Alter war, und Shane, der in harte Zeiten geraten war und einen sicheren Job mit einem verständnisvollen Chef brauchte.

Norann mit einem ihrer Söhne in der Metallwerkstatt von Danthonia Designs.
Bald machte mir die Arbeit Spaß. Ich nutzte das, was ich als „Lärm der Stille“ bezeichnete, zum Nachdenken. Ich hatte harte Arbeit schon immer geliebt, aber nur zu meinen Bedingungen. Die Arbeit mit Metall versetzte mich in eine Atmosphere voller Staub, Fett und Maschinen, in die Millionen von Menschen täglich eintauchen müssen, um ihre Familien zu ernähren. Und sie brachte mich in Kontakt mit Menschen, die andere nicht nach der Art ihrer Arbeit beurteilten, sondern einfach dankbar waren, Arbeit zu haben.
Indem er mich aus meiner jugendlichen Selbstgefälligkeit und Überheblichkeit befreite und mich mitten unter Metall und Schmutz stellte, verklärte mein Vater weder die körperliche Arbeit, noch suggierte er mir, dass ich meine intellektuellen Fähigkeiten begraben sollte. „Gott hat uns Verstand und Hände zum Arbeiten gegeben“, sagte er mir. „Er stellt das eine nicht über das andere. Aber es ist ein Geschenk, wenn man beides nutzen kann.”
Mein vater starb 2007, wenige Jahre nachdem mein Mann und ich mit unseren beiden kleinen Söhnen nach Australien in die neu gegründete Danthonia Bruderhof-Gemeinschaft gezogen waren. 2003 besuchten uns mein Vater und meine Mutter für drei kostbare Monate, lange genug, um die jungen Männer zu inspirieren, ihm beim Bau eines Pferdewagens mit Stahlrahmen zu helfen, eine alte Schmiede anzufeuern und Zierbeschläge für eine Reihe von Holztoren für den zukünftigen Friedhof der Gemeinde anzufertigen. Meine kleinen Söhne „halfen“ ihrem Großvater dabei.
Die Zeit hat meine Liebe zur Metallbearbeitung nicht verändert. Wann immer ich kann, arbeite ich bei Danthonia Designs, dem Unternehmen zur Herstellung von Schildern, das den Hauptteil des Einkommens unserer Gemeinschaft hier in Australien ausmacht. Ich weiß zwar nicht, wie man schweißt oder eine CNC-Fräse bedient, aber es gibt immer jede Menge Schweißnähte, die für die Lackierung vorbereitet werden müssen.
Die ineffiziente Drahtbürste meiner Jugend habe ich gegen eine Druckluftschleifmaschine ausgetauscht. Und im „Lärm der Stille“ habe ich Zeit, mit meinen Gedanken allein zu sein, während ich die Welt glätte, Dellen ausbessere und Kanten begradige, um ein Schild für den Farbauftrag vorzubereiten.
Wenn sie Ferien haben, arbeite ich zusammen mit meinen Söhnen. Sie teilen meine Liebe zur Metallarbeit – und hatten das Glück, diese Fertigkeit erlernen zu dürfen. Einer schweißt, der andere lackiert und ich schleife.
Mein Vater war nicht nur ein Meister seines Fachs, sondern auch ein Meister des Herzens. Er konnte unausgesprochene Worte hören, verstand, dass Unvollkommenheit etwas Normales ist, glättete heftige Auseinandersetzungen, sah das fertige Produkt vor seinem inneren Auge, wenn alle anderen nur verstreute Teile sahen, und half verwundeten Seelen auf dem Weg zur Heilung.
Natürlich bin ich noch ein unfertiges Werkstück mit vielen Ecken und Kanten, die noch Aufmerksamkeit benötigen; schließlich sind wir alle ein Werk in Arbeit. Aber ich glaube, dass das Geschenk, das mir mein Vater vor drei Jahrzehnten in dieser alten Werkstatt gemacht hat, mehr zu meinem „Fertigstellungsprozess“ beigetragen hat als alles andere in meinem Leben.
In meinem Elternhaus wurden oft Rabindranath Tagores berühmte Zeilen zitiertet: „Ich schlief und träumte, dass das Leben Freude sei. Ich erwachte und sah, dass das Leben Dienst sei. Ich handelte und siehe da, Dienst war Freude.“ Als ich mit meinem Vater nach meinem ersten Arbeitstag in der Werkstatt nach Hause ging, war „Dienst als Freude“ das Letzte, woran ich dachte.
„Nora“, sagte er sanft, „oft müssen wir im Leben von vorne anfangen, ganz unten.“ Ich sah zu ihm auf. „Du möchtest ein Leben im Dienste anderer führen, nicht wahr?“ Ich nickte. „Nun, Dienst beginnt damit, die kleinen Dinge richtig zu tun – den Boden fegen, den Müll rausbringen, die Toilette putzen oder Metallteile polieren. Solange du diese kleinen Dinge nicht richtig kannst, wirst du auch nichts Größeres gut machen.“
Und deshalb liebe ich es zu arbeiten – mit meinem Verstand oder mit meinen Händen. Oder mit beiden.