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Gesund und heil
Gesundheit meint den ganzen Menschen, weit über das gewöhnliche Wellness-Verständnis unserer Zeit hinaus.
von Peter Mommsen
Dienstag, 14. Oktober 2025
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Einer seiner schönsten Sommer war jener, in dem mein Großvater verstarb. Richard Mommsen, der 81-jährige Vater meines Vaters, erfuhr im Mai 2002, dass er an aggressivem Krebs im Endstadium litt. Palliativ-medizin war die einzige realistische Option. Kurz nach der Diagnose zogen er und meine Großmutter zu meinen Eltern. Von uns acht Geschwistern lebten noch fast alle zu Hause, und einer meiner Brüder, ein Krankenpfleger, wurde sein Begleiter. Dank der Steroide, die Grampa zur Linderung der Symptome einnahm, fühlte er sich so fit wie seit Jahren nicht mehr. Zusammen mit meinem Großvater begannen wir alle drei Monate intensiven Lebens.
Er stand um vier Uhr morgens auf, um hinauszugehen, den Vögeln zu lauschen, zu lesen, zu beten und auf den Sonnenaufgang zu warten. Danach saß er auf der Terrasse, unterhielt sich mit vorbeikommenden Passanten und offerierte gerne seinen selbstgemachten Kartoffelwein (Geschmacksbeschreibung: frisch, rein und blumig, wie ein botanischer Soju). Er schrieb Dutzende von Briefen und Postkarten an Freunde, viele davon an die ländliche Kooperative im Nordosten von Georgia, USA, wo er und meine Großmutter meinen Vater in einer selbstgebauten Blockhütte aufgezogen hatten. Durch die offenen Fenster erklang die Musik von Brahms, Woodie Guthrie und Louis Armstrong. Abends lud er seine Enkelkinder und deren Freunde zu einem Lagerfeuer und zum Liedersingen ein.
Der Sommer wurde auch zu einem mehr-wöchigen Literaturfestival. Er rekrutierte uns 20-jährige dazu, Hamlet laut zu lesen, jeden Abend ein oder zwei Akte. Großmutter war Gertrude und Großvater lachte bei der Totengräberszene, als ob er sie zum ersten Mal hörte. An anderen Abenden versammelte er die ganze Familie um vorzulesen: Tolkien, Damon Runyon, William Saroyan, Che Guevaras Motorrad-Tagebücher. Einer seiner letzten Wünsche war es, noch einmal gemeinsam C. S. Lewis’ Narnia-Reihe zu lesen. „Noch ein Kapitel“, sagte er immer wieder, bis wir an einem Abend fast ein ganzes Buch gelesen hatten. Er hatte, soweit wir das beurteilen konnten, keine starken Schmerzen und keine Angst vor dem Tod. Ein Pastor fragte ihn, ob unsere Gemeinde einen Gebetsabend für ihn abhalten sollte. „Warum?“, antwortete er. „Ich hatte ein wundervolles Leben. Ich bin einfach dankbar.“ Einmal sagte er zu uns: „Wisst ihr, ich habe immer darum gebetet, noch einen Sommer erleben zu dürfen. Und dieser Wunsch wurde mir erfüllt.“ Seine Gelassenheit war überraschend, denn in früheren Jahren hatte er Phasen der Selbstzweifel und Depressionen durchlebt. Aber jetzt war er einfach glücklich. Im Sterben gewann er eine neue Art von Gesundheit.

Stephen Zhang, Greg, Aquarell auf Papier, 2020. Alle Grafiken von Stephen Zhang. Verwendet mit Genehmigung.
Seine „Gesundheit“ war natürlich nicht die eines gut funktionierenden Körpers; der Krebs schritt unaufhaltsam fort. Es war vielmehr die Art von Gesundheit, die ein anderer seiner Lieblingsautoren, Wendell Berry, als „Heilsein“ beschrieb. Dieses Heilsein erfordert für Berry ein dichtes Beziehungsgeflecht, wie es Grampa umgab. Berry drückt es so aus: „Ich glaube, dass die Gemeinschaft – im weitesten Sinne: ein Ort und alle seine Lebewesen – die kleinste Einheit der Gesundheit ist und dass es ein Widerspruch in sich ist, von der Gesundheit eines isolierten Individuums zu sprechen.” Hier nimmt Berry die Erkenntnisse von Glücksforschern wie George Vaillant vorweg, der jahrzehntelang eine 1938 begonnene Langzeitstudie der Harvard University leitete. Vaillant fasste die Ergebnisse seines Teams 2015 in einem TED-Talk wie folgt zusammen: „Die klarste Botschaft, die wir aus dieser 75-jährigen Studie ziehen können, lautet: Gute Beziehungen machen uns glücklicher und gesünder. Punkt.“

Stephen Zhang, Together, Aquarell auf Papier, 2019.
Durch den Aufbau liebevoller Beziehungen zu anderen Menschen und zu Gott wird Gesundheit für diejenigen verfügbar, die sie am meisten brauchen: Menschen mit chronischen Erkrankungen, mit Behinderungen und Menschen, die bereits alt sind. Oder, wie im Fall meines Großvaters, Menschen, die im Sterben liegen.
Grampa konnte bis zu seinem letzten Tag noch sprechen und gehen, als er, scheinbar verwirrt, um Hilfe beim Packen für einen Ausflug in die nahe gelegenen Berge bat. Die Zeit zum Sterben war gekommen. Es war schwer, aber er nahm es mit offensichtlicher Gelassenheit auf sich, ganz im Sinne eines Zitats von George MacDonald, das er oft zitiert hatte: „Ich möchte leben – sehr sogar–, aber es ist mir egal, wo. Derjenige, der diesen Raum so lebenswert gemacht hat, kann sicherlich auch mit dem nächsten betraut werden!“
Als lebenslanger Gemeinschaftsmensch ver-brachte er seine letzten Stunden umgeben von seiner Gemeinschaft: seiner Frau, mit der er fünf Jahrzehnte lang verheiratet war, seinen Kindern und Enkelkindern, anderen Mitgliedern der Bruderhof-Gemeinschaft, Freunden, die er seit ihrer Kindheit kannte, und jungen Freunden, die er erst kürzlich gewonnen hatte. Um Berrys Aussage zu strapazieren, könnte man sagen, dass er gesund gestorben ist und dass die Art seines Abschieds sein letztes Geschenk an die Gemeinschaft war, für die er gelebt hatte.
Diese Plough-Ausgabe möchte zeigen, warum dies eine erstrebenswerte Art von Gesundheit ist.