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    medieval illustration of a mythical beast

    Wider den Optimierungswahn

    Die Wellnessindustrie lockt mit unerreichbaren Idealen. Hoffnung findet sich anderswo.

    von David Zahl

    Dienstag, 14. Oktober 2025

    Verfügbare Sprachen: English

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    Einige menschen haben eine gabe für Polemik. Ich zähle nicht dazu. Zwei, die meiner Meinung nach ein besonderes Talent dafür haben, sind Lauren Oyler und Martin Luther. Ihre vernichtenden Verrisse zeichnen sich durch Klarheit und Leidenschaft aus. Doch dieser erlesene Zirkel ist klein, und selbst wenn ich das Zeug dazu hätte – was definitiv nicht der Fall ist – würde ich mich hüten, dort eintreten zu wollen. Jemandem mit meinem Naturell macht so ein Job zu viel Angst. Nur ein außergewöhnlich verabscheuungswürdiges Ziel könnte mich zu einer Polemik bewegen. Es müsste etwas sein, das nicht nur moralisch fragwürdig ist, sondern mir auch ganz besonders unter die Haut geht. Etwas wie Optimierung.

    Es gibt ein Meme, das zu Beginn jedes Schuljahrs unter Eltern die Runde macht: Ein Mann mittleren Alters steht in einer Menge, die Hände in die Hüften gestemmt, sein Gesichtsausdruck zeigt klar: „Nicht witzig.“ Darüber prangt die Mitteilung einer Lehrkraft: „Loggen Sie sich einfach bei Zabelzoot ein, scrollen Sie nach unten zur Zork! App und lassen Sie ihr Kind die über Kracklezam bereitgestellten Aufgaben erledigen.“

    Die Langlebigkeit des Memes liegt nicht so sehr in der treffenden Verspottung der spaßbetonten Lernwebsite-Namen, sondern in der Verzweiflung der Eltern angesichts der verworrenen Prozesse, durch die sie ihre Kinder heutzutage führen sollen. In der Theorie soll „Zabelzoot“ beziehungsweise sein reales Gegenstück die Kommunikation zwischen Lehrkräften und Schülern erleichtern. Ein Klick genügt, um Hausaufgaben abzugeben. In der Praxis verbringe ich genauso viel Zeit mit dem Beheben von Fehlermeldungen der verschiedenen Aufgabenprogramme auf den Computern meiner Söhne, mit Software-Aktualisierungen und dem Ausfüllen endloser Zwei-Faktor-Authentifizierungen, wie damit, ihnen bei ihren Hausaufgaben zu helfen. Es ist ein nervenaufreibendes Erlebnis, das alle Beteiligten frustriert, ausgelaugt und alles andere als lernbereit zurücklässt.

    Diese Erfahrung ist sinnbildlich für die Tyrannei des Optimierungswahns. Überall begegnen uns neue Strategien, mit denen wir angeblich unsere Kräfte bündeln, effizienter arbeiten, klarer priorisieren und den Alltag leichter bewältigen können.

    medieval illustration of a mythical beast

    Illustration aus dem Aberdeen Bestiary, ca. 1200. Abbildungen mit freundlicher Genehmigung der Universität Aberdeen verwendet.

    Der französische Soziologe Jacques Ellul verwendet den Begriff technique (Technik) für unseren Drang, alles effizienter zu machen. In La technique ou l’enjeu du siècle (Technik oder die Herausforderung des Jahrhunderts) definiert er sie als „die Gesamtheit der Methoden, die auf rationale Weise zustande gekommen sind und (für eine gegebene Entwicklungsstufe) in jedem Bereich menschlicher Tätigkeit absolute Effizienz besitzen.“ Technik zielt darauf ab, alles im Leben effizient zu gestalten. Jedes Mal, wenn wir maschinelle Logik auf den Menschen anwenden, befinden wir uns im Bereich der Technik. So verbessern wir nicht unsere morgendliche Routine, wir „hacken“ sie. Wir genießen nicht unseren Urlaub, sondern optimieren unsere Freizeit. Technik ist so selbstverständlich geworden, dass wir sie gar nicht mehr wahrnehmen. Optimierung ist eigentlich nichts anderes als Technik in neuem Gewand.

    Zeit und Ressourcen zu schonen und das Leben zu vereinfachen, sind durchaus vernünftige Anliegen. Das Problem ist, so Ellul, dass Technik dafür nicht geeignet ist. Technik verspricht, das Leben bequemer, erschwinglicher und reibungsloser zu machen, aber in Wirklichkeit macht sie es anstrengender, teurer und komplizierter. Mit jeder neuen technischen Lösung tauchen neue Probleme auf, die wiederum technisch gelöst werden müssen. Um die Noten Ihres Kindes einzusehen, müssen Sie erst ein Konto bei „Drumblekick“ anlegen. Warum ich also gegen den Optimierungswahn anschreiben würde? Weil er das Gegenteil von Optimierung bewirkt. Anstelle von Erleichterungen, entstehen neue Belastungen.

    Wenn wir Christus als Vorbild nehmen, sehen wir, dass Leben in der Nachfolge nicht aus pausenloser Aktivität und Interaktion besteht.

    Ich habe noch einen anderen, tieferen Grund, der mich fast zum Polemisieren treibt. Die Sprache der Optimierung unterwandert unser Denken, indem sie uns einredet, wir seien im Grunde nichts anderes als Maschinen. Es sollte selbstverständlich sein, muss aber ausdrücklich gesagt werden: Wir sind Menschen, keine Maschinen. Wir sind Geschöpfe, keine Produkte. Wir sind nicht auf eine bestimmte Weise „verdrahtet“. In unseren Adern fließt Blut, kein Quellcode. Unser Herz lässt sich nicht „hacken“ und unser Geist lässt sich nicht „herunterladen“. Diese Metaphern haben vielleicht ihren Nutzen, aber wenn sie zum Standardvokabular werden, besteht die Gefahr, dass wir Produktivität zum höchsten Gut des menschlichen Daseins erklären.

    Es wird nicht lange dauern bis Eltern, die sich mit Kracklezam herumschlagen, ihre Kinder nur noch zu Freizeitaktivitäten gehen lassen, die nachweisbare Entwicklungsfortschritte garantieren. Was die Kindheit eigentlich ausmacht – Freude am Spiel, echte Freundschaften, spirituelle Entwicklung – wird zunehmend verdrängt von Aktivitäten, die mit messbaren Leistungsindikatoren aufwarten können. Bei Maschinen ist diese Denkweise verständlich; sie wurden konstruiert, um konkrete Ergebnisse zu liefern. Aber wenn der Wert einer Person auf die Leistung reduziert wird, die sie erbringt, bleibt die Menschenwürde auf der Strecke.

    medieval illustration of an anthill

    Illustration aus De natura animalium, ca. 175–235 n. Chr. De Natura animalium, Cambrai ca. 1270. Sammlung: Douai, Bibliothèque municipale, ms. 711, fol. 24r.

    Für Christen gibt es noch einen tieferen Grund, dieser Optimierungswelle zu widerstehen: Jesus selbst verkörperte das Gegenteil von Effizienzdenken. Sein Zeitmanagement war miserabel und er nutzte die ihm zur Verfügung stehenden Ressourcen nicht strategisch. Ich kann mir niemanden vorstellen, dessen modus operandi weniger an eine Maschine erinnert. Jesus nahm sich Auszeiten, manchmal zu scheinbar ungeeigneten Momenten. Als auf dem See Genezareth ein Sturm tobte und seine Jünger in Panik gerieten, schlief Jesus im vorderen Teil des Bootes. Jesus hat sich nie von der Eile und dem knallharten Kalkül leiten lassen, die eine Kultur der Optimierung kennzeichnen, selbst wenn Menschen, die seine Hilfe suchten, dadurch warten mussten.

    Bereits in den ersten Kapiteln des Markus­evangeliums, noch bevor er viel gewirkt hat, zieht er sich zum Gebet zurück. Jesus macht eine bewusste Pause, bevor er wieder Kranke heilt und Dämonen austreibt. „In aller Frühe, als es noch dunkel war, stand er auf und ging an einen einsamen Ort, um zu beten. Simon und seine Begleiter eilten ihm nach, und als sie ihn fanden, sagten sie zu ihm: Alle suchen dich. Er antwortete: Lasst uns anderswohin gehen, in die benachbarten Dörfer, damit ich auch dort verkünde; denn dazu bin ich gekommen.“ (Mk 1,35–38). Wenn wir Christus als Vorbild nehmen, sehen wir, dass Leben in der Nachfolge nicht aus pausenloser Aktivität und Interaktion besteht.

    Die Jünger handeln anders, als ihr Lehrer es ihnen vorlebt. Aus Sorge machen sie sich sofort auf die Suche nach Jesus, wenn er nicht bei ihnen ist. Sie unterbrechen ihn im Gebet und stören seine Zeit mit Gott. „Alle suchen dich“, sagen sie mit unfreiwilliger Ironie. Jesus lässt sich weder von ihrer Hektik mitreißen noch belehrt er sie über die Gefahren ihres Optimierungsdrangs. Stattdessen reagiert er mit Geduld, Freundlichkeit und einem Hinweis auf das Wesentliche, nämlich die Verkündigung des Evangeliums.

    Der gewichtigste grund, der mich verleitet, gegen die Optimierungsideologie zu schreiben, ist dieser: Wenn das Präfix „Selbst“ hinzugefügt wird, wird Optimierung – um es mit Paulus’ Worten zu sagen – zu einem „Dienst, der den Tod bringt“ (2 Kor 3,7). Das mag drastisch klingen, trifft aber den Kern, wenn wir die Vereinsamung, Ungleichheit und Verzweiflung betrachten, die der Selbstoptimierungswahn in unserer Gesellschaft sät und nährt.

    „Selbstoptimierung“ ist der neue Modebegriff für das, was früher schlicht Selbsthilfe genannt wurde. Diese sprachliche Neuverpackung betont den Perfektionismus, der in den ernsthafteren Selbsthilfeansätzen immer schon angelegt war, und vereinnahmt gleichzeitig geschickt therapeutische Aspekte der Selbstfürsorge – eine Kombination, die dem Ganzen einen Hauch moralischer Überlegenheit verleiht.

    Die Ideologie der Selbstoptimierung behauptet: In jedem von uns schlummert eine ideale Version unserer selbst und unsere vorrangige Lebensaufgabe besteht darin, dieses Idealbild mit allen verfügbaren Mitteln Wirklichkeit werden zu lassen. Es ist also höchste Zeit, zu der Person zu werden, die wir eigentlich sein sollten, nur dass wir heute digitale Helfer haben, die jeden unserer Schritte messen und uns den vermeintlich klügsten und effizientesten Weg zum optimierten Selbst weisen.

    Fast alles, was wir im Namen der Selbstoptimierung tun – ob wir Bücher verschlingen, unsere REM-Schlafphasen überwachen, Laufstrecken messen oder Meditationszeiten dokumentieren – machen wir alleine. Diese Selbstbezogenheit verstärkt unsere soziale Isolation in einer Gesellschaft, die ohnehin schon von einer Einsamkeitsepidemie betroffen ist. Der Kult der Selbstoptimierung schließt uns in unseren kleinen, isolierten Welten ein, obwohl wir eigentlich Beziehungen zu anderen Menschen bräuchten. Er propagiert eine sehr verengte Form der Selbstfürsorge, die in Wirklichkeit weder für sich selbst noch für andere sorgt. Vox-Reporterin Allie Volpe hat diesen Kreislauf eindrucksvoll beschrieben:

    Kosmetikhersteller werben mit Produkten, die angeblich stressbedingte Fältchen bekämpfen sollen. Wir kaufen ihre Cremes, tragen sie in einsamen Momenten auf und fühlen uns für einen Augenblick besser. Doch die Ängste, die Erschöpfung und das Gefühl, nicht gut genug zu sein, kehren unweigerlich zurück. Hier beginnt der Kreislauf von Neuem. Also kaufen wir den nächsten Lidschatten, ein Bullet Journal, die Botox-Behandlung oder die Wellnessreise, um eine Sehnsucht nach Fürsorge zu stillen, die grenzenlos zu sein scheint.

    Weil der Kauf von Dingen keine existenziellen Ängste stillt, überflutet uns ein Gefühl von Schuld, unserem Geist und Körper nicht ausreichend Aufmerksamkeit schenken zu können. Wir müssen uns einfach noch mehr um uns selbst kümmern! So wird der Konsum, der vorgibt, etwas Zerbrochenes heilen zu können, zu einer weiteren Aufgabe auf unserer To-do-Liste.

    Der Trend der Selbstoptimierung verstärkt den weit verbreiteten Narzissmus unserer Zeit. Während er vorgibt, uns von Stress zu befreien, bürdet er uns noch mehr Einsamkeit auf.

    Selbstoptimierung ist ein sehr lukratives Geschäft. Ende 2024 erreichte die Wellnessbranche in den USA einen Wert von über zwei Billionen Dollar. Das Erlösungsversprechen dieser Industrie bleibt jedoch ein Privileg derer, die sich den Luxus leisten können, sei es durch endlose Therapiesitzungen, teure Mitgliedschaften im Fitnessstudio oder maßgeschneiderte Vitamin-Infusionen. Moderne Wellness dreht sich, wie die Autorin Sophie Gilbert es ausdrückt, um „eine sich selbst erhaltende Endlosschleife des vorsorglichen, aufstrebenden Konsums: kaufen, um besser zu sein, um mehr zu kaufen, um noch besser zu sein.“

    Eine „frohe Botschaft“, die nur für die Wohlhabenden, die Jungen und Fitten, für Menschen mit viel Energie und vollem Konto zugänglich ist, steht im völligen Widerspruch zum Evangelium Jesu Christi, das sich gerade den Verlorenen, den Geringsten und den Letzten zuwendet. Selig sind, die geistlich arm sind, nicht die vollkommen Entgifteten. Die Kritik an der Selbstoptimierungskultur richtet sich deshalb nicht nur gegen die zunehmende Vereinsamung, sondern auch gegen ein kaltherziges Privileg unserer Zeit.

    medieval illustration of snails on a ladder

    Illustration aus dem St. Omer Book of Hours, ca. 1311–1325. Abbildung aus dem St. Omer Book of Hours, London: British Library, Add MS 36684, fol. 61v. Gemeinfrei.

    Die enorme Beliebtheit des Selbstoptimierungstrends muss meines Erachtens auch als Symptom einer tiefen Erschöpfung, Unzufriedenheit und Entmutigung der Gesellschaft verstanden werden. Wenn wir das neue Gebot „Sorge gut für dich selbst!“ mit solcher Inbrunst annehmen, ist das ein gewaltiger kollektiver Hilfeschrei. Hier zeigt sich, wie sehr meine Mitmenschen leiden und ausgelaugt sind, und wie sehr sie sich bewusst sind, dass, wie es im Book of Common Prayer heißt, „kein Heil in uns ist.“ Das verstehe ich nicht nur, sondern fühle es selbst bis ins Mark. Es ist wichtig zu betonen, dass keineswegs alle Selbstfürsorge als Selbstoptimierung betrachtet werden darf. Ich denke dabei etwa an die Al-Anon Familiengruppen, die Schwesterorganisation der Anonymen Alkoholiker, die das Prinzip der Selbstfürsorge für Menschen betont, die ihr Selbstverständnis weitgehend dem Trinkverhalten einer anderen Person geopfert haben.

    Ich habe noch einen letztes, vernichtendes Argument gegen die Selbstoptimierung: Das ganze Optimierungsstreben suggeriert, dass unsere Leistungskurven unaufhörlich nach oben zeigen werden. Alle diese Kurven werden irgendwann abfallen. Ganz gleich, wie viele Vitamine wir schlucken, wie viele Retreats wir besuchen oder wie viele Coaches wir anheuern – unser Körper wird irgendwann nachgeben. Selbstoptimierung ist ein sicherer Weg in die Verzweiflung, ein Kampf gegen die Zeit, den kein Mensch gewinnen kann. Als Christ möchte ich stattdessen für eine Hoffnung eintreten, die nicht auf dem Irrtum fußt, wir könnten uns aus eigener Kraft erlösen.

    Als Christ schreibe ich gegen die Selbstoptimierung, weil sie zur Verzweiflung führt. Ich will der Hoffnung eine Stimme geben.

    Mein Glaube lässt nicht zu, dass ich den Optimierungswahn als eine fremde Macht betrachte, die ahnungslose Menschen überfällt. Unsere Kultur mag günstige Bedingungen schaffen, der Aufruf zur Optimierung ist jedoch so wirksam und ironischerweise auch so effizient, weil er in jedem menschlichen Herzen einen Anknüpfungspunkt findet. Wir lieben Optimierung, weil sie uns Kontrolle verspricht. Warum reizt uns das Messen, wenn nicht aus Sehnsucht nach Kontrolle? Durch akribische Analyse unserer Daten wollen wir den Lauf der Dinge beeinflussen? Doch jede noch so perfekte Kurve führt irgendwann nach unten und die letzte Station ist der Friedhof.

    Es gibt Schlimmeres, als auf einem Friedhof zu weilen, umgeben von Symbolen himmlischer Ruhe. Vielleicht entdecken wir dort eine Grabinschrift, die von einem Gott kündet, der sich auf die Heiligung nicht optimierter Seelen spezialisiert hat. Wir könnten von einem Gott lesen, der uns nicht nach unserer Leistung beurteilt, sondern nach dem Reichtum seiner Gnade. Vielleicht hören wir in einer Trauerfeier sogar Worte über einen Vater, der die Sünder, die er erlöst hat, in seine barmherzigen Arme schließt.

    Von David Zahl David Zahl

    David Zahl ist Direktor von Mockingbird Ministries, Chefredakteur von Mockingbird und Autor mehrerer Bücher.

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