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    Abrahams streitende Kinder

    Kann ein muslimisch-christlich-jüdisches Zentrum in Abu Dhabi nach dem 7. Oktober 2023 etwas bewirken?

    von Kelsey Osgood

    Dienstag, 14. Oktober 2025

    Verfügbare Sprachen: español, English

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    „Fährst du trotzdem?” Diese Frage wurde mir am 8. Oktober 2023 häufig gestellt. Es war Simchas Torah, der Tag, an dem Juden den Abschluss des jährlichen Zyklus der Tora-Lesung feiern, normalerweise einer der ausgelassensten und fröhlichsten Feiertage. Doch an diesem Tag sickerten Nachrichten über das Massaker an Zivilisten im Süden Israels durch, obwohl die meisten in meiner orthodoxen jüdischen Gemeinde in New York ihre Telefone gemäß unseren religiösen Vorschriften ausgeschaltet hatten. In der Synagoge saßen Eltern mit angespannten Gesichtern und verweinten Augen und versuchten, ihre Verzweiflung vor ihren Kindern zu verbergen. Ein Freund, Vater eines Kleinkindes und Ehemann einer schwangeren Frau, weinte, während er mit der Tora tanzte: Er musste an diesem Abend zu seiner Reserveeinheit fliegen und seine junge Familie zurücklassen.

    Als ich erzählte, dass ich an diesem Abend nach Riad in Saudi-Arabien fliegen würde – bis vor kurzem ein sehr unwahrscheinliches Reiseziel für einen Amerikaner, geschweige denn für eine allein reisende jüdische Amerikanerin –, reichten die Reaktionen von Skepsis bis zu Entsetzen. Ich wischte die Bedenken beiseite, obwohl ein kleiner, zweifelnder Teil von mir fragte, ob es nicht tatsächlich sehr töricht wäre, meine Pläne durchzuziehen. Ich dachte an den Hinweis im Visumantrag, dass es strafbar sei, islamfeindliches Material ins Land zu bringen. Was würde passieren, wenn ich versehentlich mein Gebetbuch mit seinen vielen Seiten hebräischem Text einpackte? Ich hatte diese Reise seit Jahren geplant, um eine Amerikanerin zu treffen, die ich für mein Buch zum Thema Religionswechsel interviewt hatte, die nach Saudi-Arabien gezogen war. Ich spürte, wenn ich nicht jetzt, würde ich wohl nie fahren.

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    Fotos public domain.

    Es gab noch einen weiteren Grund für diese Reise: Ich sollte für eine große Zeitung einen Artikel über das Abrahamic Family House (AFH) schreiben, ein neu erbautes Zentrum in Abu Dhabi in den Vereinigten Arabischen Emiraten (VAE), in dem eine Kirche, eine Moschee und eine Synagoge auf einem gemeinsamen Campus untergebracht sind. Das Zentrum hatte einen Café- und Geschenkeladen sowie öffentliche Bereiche mit Medienprojekten wie Videoinstallationen. Es bot auch Veranstaltungen an, von denen einige eindeutig theologischer Natur waren (wie Vorträge über den Propheten Mohammed), während andere, wie Korbflechten oder das Erlernen der Gebärdensprache, nur am Rande mit dem Glauben zu tun hatten. Seit ich 2020 zum ersten Mal von dem Zentrum las, verfolgte ich das Projekt in der Hoffnung, irgendwann darüber berichten zu können.

    Ich hatte mich vor meiner Abreise über das AFH informiert und war mit den zahlreichen Kritikern und ihren Vorwürfen bestens vertraut. Der häufigste Einwand war, dass es sich lediglich um „Faith-Washing“ handele: Wie das Golfspielen in Saudi-Arabien sei das AFH ein glänzendes Symbol der Toleranz, das von den Menschenrechtsverletzungen in der Region ablenken solle. Die Kritiker wiesen in der Regel darauf hin, dass das Zentrum, wie viele „öffentliche” Einrichtungen in den VAE, im Besitz der Regierung sei und von ihr finanziert werde und daher auf dem Rücken unterbezahlter und überarbeiteter ausländischer Arbeitskräfte errichtet worden sein müsse – ein seit langem bestehendes Problem in der Region (das die Regierung allerdings in den letzten Jahren zugegebenermaßen zu lösen versucht hat).

    Es gab auch Fragen, wie weit die einzelnen Einrichtungen der AFH ihren heiligen Pflichten nachkommen konnten, da die offizielle Religion des Landes der Islam ist. Konnte beispielsweise eine katholische Kirche dort effektiv missionieren? Angesichts der Tatsache, dass die Regierung der VAE – von Natur aus autoritär und fast ausschließlich aus wohlhabenden Scheichs bestehend – die Äußerungen von Imamen unter dem Vorwand der Extremismusbekämpfung sorgfältig überwacht und einschränkt, stellte sich auch die Frage, wie frei selbst muslimische Geistliche ihren Dienst ausüben könnten.

    Die andere große Kritik war theologischer Natur: Dieses interreligiöse Projekt – und damit auch jedes andere interreligiöse Projekt – sei unhaltbar, wenn nicht sogar unmoralisch, da aus der Sicht der einen objektiven Wahrheit (was auch immer die Kritiker darunter verstanden) jeder Versuch, sich mit Menschen gut zu stellen, die diese objektive Wahrheit nicht anerkennen, religiösem Selbstmord gleichkomme. Diese Ansicht wurde kurz und unverblümt von gelegentlichen muslimischen Kommentatoren auf der Instagram-Seite des Zentrums geäußert („Religion gehört zu Allah, Islam“, lautete ein solcher Kommentar, „und ihr werdet nicht bekommen, was ihr wollt, egal was ihr tut“). Weniger kurz, aber dennoch scharf formuliert wurde dies auch von Eric Sammons, Chefredakteur des traditionalistischen katholischen Magazins Crisis. In einem 30-minütigen Video bezeichnete er das AFH als „ein weiteres Zeichen dafür, dass der interreligiöse Dialog sich in religiöse Gleichgültigkeit verwandelt hat“.

    Den ersten Teil der Kritik konnte ich relativ leicht ignorieren. Natürlich würde ich Menschenrechtsverletzungen niemals belächeln, aber im Gegensatz zum Golfsport in Saudi-Arabien schien mir der Bau von Zentren für religiöse Toleranz tatsächlich eine Antwort auf den historischen Vorwurf zu sein, dass die VAE kein gastfreundlicher Ort für Nicht-Muslime seien.

    Die theologischen Einwände waren jedoch schwieriger zu entkräften. Wie jede neurotische Autorin, die etwas auf sich hält, verbrachte ich übermäßig viel Zeit damit, mir die verschiedenen Gründe auszumalen, warum Menschen mein Buch hassen könnten. Am meisten schämte ich mich dafür, dass man mir vorwerfen könnte, ich würde den sogenannten „moralischen therapeutischen Deismus“ propagieren, also Spiritualität so definieren, dass sie in erster Linie dazu dient, Menschen ein gutes Gefühl sowie ethisches Verhalten zu vermitteln.

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    Das Oberlicht der Moses-Ben-Maimon-Synagoge imitiert eine Chuppah, den Baldachin jüdischer Hochzeitszeremonien. Das überkreuzende architektonische Motiv stellt die Palmen dar, aus denen die Sukkah gebaut wird, eine provisorische Hütte für das Laubhüttenfest Sukkot. Fotos von detail.de. Verwendet mit Genehmigung.

    Vielleicht war das meine größte Angst, weil es irgendwie wahr war: Ich glaubte tatsächlich, dass Glauben zum Wohlbefinden beiträgt, auch wenn ich paradoxerweise gleichzeitig der Meinung war, dass ein Teil dieses Wohlbefindens aus der Erfahrung der Sublimierung des Selbst und seiner Wünsche entsteht. Wahrscheinlich ist es wichtiger, dass Menschen überhaupt glauben, als dass sie den richtigen Glauben haben. Aber ich bin auch orthodoxe Jüdin, halte mich also an strenge Regeln, die ich für göttlich vorgeschrieben, nicht verhandelbar und (größtenteils) spezifisch für Juden betrachte. Können diese beiden Ideen in einer Person koexistieren? Untergräbt die Anerkennung der soziologischen Vorteile der Religion das Verständnis davon als objektive, heilige Wahrheit? Darf man religiöse Vielfalt unterstützen und dennoch an die Überlegenheit der eigenen Wahrheit glauben?

    F rüher dachte ich, das Judentum sei auf einzigartige Weise offen für Pluralismus. Trotz aller Vorwürfe der Exklusivität, die meiner Religion gemacht werden, verlangt sie nicht, dass man jüdisch sein muss, um auf Erden gerecht zu sein oder nach dem Tod gerettet zu werden. In einer meiner Lieblingspassagen der Tosefta diskutieren die Rabbiner darüber, ob Nichtjuden auch einen Anteil an dem haben, was wir olam haba, die kommende Welt, nennen. Unter Berufung auf eine Stelle in den Psalmen, in der von Völkern die Rede ist, die Gott „vergessen“, sagt Rabbi Eliezer, dass dies nicht der Fall sei, doch Rabbi Jehoschua widerspricht ihm: „Hätte der Text gesagt: ‚Die Gottlosen werden in die Unterwelt zurückkehren‘ … und dann geschwiegen, dann würde ich Ihnen zustimmen“, entgegnet er. „Aber dann nennt der Vers jene, die Gott vergessen. Es gibt Heilige unter den Völkern, [und] sie haben Anteil an der kommenden Welt.” Persönlichkeiten wie der mittelalterliche sephardische Dichter und Arzt Yehudah Halevi oder der Talmudist Yaakov Emden aus dem 17. Jahrhundert schrieben sogar voller Bewunderung über das Christentum und den Islam als Kräfte des Guten. „Während die Völker vor ihnen Götzen verehrten, Gottes Existenz leugneten und somit Gottes Macht oder Vergeltung nicht anerkannten“, schrieb Rabbi Emden, „diente der Aufstieg des Christentums und des Islam dazu, unter den Völkern bis in die entferntesten Winkel der Erde die Erkenntnis zu verbreiten, dass es einen Gott gibt, der die Welt regiert, der belohnt und bestraft und sich den Menschen offenbart.“

    Deutlich aktueller fragte der beliebte, schon verstorbene Rabbi Lord Jonathan Sacks in seinem 2002 erschienenen Buch The Dignity of Difference hoffnungsvoll: „Führt unser Verständnis der Allumfassendheit des Göttlichen dazu, dass wir die Integrität der Suche nach Gott durch Menschen außerhalb unseres Glaubens anerkennen?“ Er war fest davon überzeugt, dass dies der Fall sein sollte, aber seine Argumentation war für manche etwas zu offen: Für die zweite Auflage im Jahr 2003 änderte er seine frühere Aussage, dass Gott zu verschiedenen Gruppen von Menschen durch verschiedene Religionen „gesprochen“ habe, eine Aussage, die ihm eine Vorladung vor ein Konsortium unzufriedener orthodoxer Rabbiner einbrachte.

    Durch meine persönlichen und beruflichen interreligiösen Kontakte – beruflich, weil ich häufig über andere Religionen berichte, persönlich, weil ich gerne Freunde unterschiedlicher Glaubensrichtungen habe – stelle ich diese Annahme der pluralistischen Überlegenheit jedoch zunehmend in Frage. In der Thora ist Noah der ideale Nichtjude; er ist der Namensgeber für die sogenannten sieben Gesetze der Noahiden, die die Grundlage für das ethische Verhalten von Nichtjuden bilden. Laut Rabbi Emden erreichen viele Christen und Muslime dieses Ziel. Für einige Rabbiner wäre es jedoch idealer, wenn sie sich tatsächlich als Noahiden bekennen und alle post-Thora Prophezeiungen ablehnen würden, was sie mehr oder weniger zu kosmischen Nebenfiguren degradieren würde. Daher sollte es nicht überraschen, dass eine beträchtliche Anzahl der wenigen selbsternannten Noahiden letztendlich konvertiert (viele zum Judentum, einige jedoch zum Christentum). Anders formuliert: Wenn ich Christen den Zugang zum theoretischen Himmel gewähre, aber ihren Glauben an Christus nicht anerkenne, ist das vielleicht genauso beleidigend wie das Gegenteil, wenn ein Christ behauptet, Gott habe einen Bund mit den Juden geschlossen, sie aber im Jenseits nicht verschont werden. Mein eigener Grad scheint genauso schmal zu sein wie jener meiner katholischen Freundin, einer frommen, geweihten Jungfrau, wenn sie die offizielle Haltung der Kirche darlegt, dass Gottes Bund mit den Juden respektiert werden sollte, „aber natürlich hoffen wir, dass letztendlich alle Katholiken werden“. Ebenso schwierig ist es für Muslime, die versuchen, die im Koran verankerte Idee, dass es in der Religion keinen Zwang geben darf, mit der Vorstellung vom Islam als einzig wahren Glauben in Einklang zu bringen. Ist es nicht irgendwie geizig, zu glauben, dass man die einzige Wahrheit besitzt, und nicht zu versuchen, andere davon zu überzeugen?

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    Die Imam-Al-Tayeb-Moschee ist nach Mekka ausgerichtet. Mashrabiya, traditionelle islamische Gitterwerke lassen Licht herein und sorgen für Belüftung. Fotos von detail.de. Verwendet mit Genehmigung.

    Außerdem hat mein eigener Pluralismus Grenzen. Interreligiöse Initiativen sind gut und schön, aber sie können auch ausgesprochen einfältig sein. Vor einigen Jahren nahm ich an einer interreligiösen Diskussion zwischen Mormonen und Katholiken teil und hörte den Teilnehmern zu, wie sie begeistert über die Ähnlichkeiten zwischen ihren beiden Religionen staunten. Mir schien, dass man zwischen zwei beliebigen Religionen ebenso viele, wenn nicht sogar mehr Ähnlichkeiten aufzählen könnte. Außerdem führe, wie Rabbi Sacks schrieb, eine zu starke Konzentration auf die Gemeinsamkeiten dazu, dass wir die Unterschiede vernachlässigen. Müssen wir unsere Gemeinsamkeiten betonen, um koexistieren zu können, oder können wir unsere Unterschiede, so unangenehm ihre Diskussion auch sein mag, als Bereicherung für die Welt und unsere Beziehungen betrachten?

    Es gibt eine klare Grenze, wo mein „Kumbaya“-Ich aufhört und meine objektive Wahrheit beginnt, und zwar in Bezug auf alles Jüdische. Obwohl der jüdische Kanon umfangreich ist und es unzählige Meinungen gibt, ist es in der orthodoxen Welt allgemein anerkannt, dass alle Juden zumindest den Sabbat, die Koscher-Gesetze und jene der rituellen Reinheit, die die sexuellen Beziehungen regeln, einhalten sollten.

    Einmal kam eine enge Freundin aus dem College, die zwar nicht gläubig ist, aber eine starke jüdische Identität hat, an einem Samstagnachmittag bei mir vorbei. Mein ältester Sohn fragte sie in der unverblümten Art kleiner Kinder, ob sie Jüdin sei. Sie bejahte dies.

    „Warum fährst du dann am Sabbat Auto?“, fragte er.

    „Wir sind sogenannte Reformjuden“, erklärte sie ihm. „Deine Mutter hat dir wahrscheinlich schon erzählt, dass manche Juden einige Dinge anders machen.“ Sie fuhr eine Weile in diesem Stil fort, bevor sie mit einigen pauschalen Plattitüden über das Judentum abschloss. Diese Freundin wäre vielleicht überrascht – oder sogar beleidigt –, wenn sie wüsste, dass ich meinen Kindern niemals sagen würde, dass es in Ordnung ist, wenn Juden den Sabbat nicht einhalten, unabhängig von ihrer konfessionellen Zugehörigkeit.

    Das Vorhaben, ein religiöser Mensch zu sein, der die vielfältigen Glaubensrichtungen der Welt respektiert oder sogar liebt, ist kompliziert. Aber ich gebe zu, dass es mir immer Spaß gemacht hat. Tief in die Texte meiner eigenen Tradition einzutauchen, Glaubensgenossen anderer Religionen mit den Ansichten ihrer eigenen Religion ringen zu sehen: Das fühlt sich an wie ein Logikrätsel, ein Dehnen und Kräftigen der geistigen Muskeln, das uns am Ende idealerweise alle besser macht. Sicher, es kann chaotisch sein, aber ist etwas, das sich lohnt, nicht immer chaotisch? Und, wie mir das Jahr nach diesem schicksalhaften Simchas-Torah-Fest lehren sollte, kann es immer noch chaotischer sein.

    Die frau, über die ich geschrieben hatte, .holte mich am Flughafen in Riad ab. Im Auto auf dem Weg zum Hotel fragte sie mich angesichts der Ereignisse in Israel, ob ich noch einmal überlegt hätte zu kommen.

    „Ich war schon nervös“, sagte ich.

    „Sie können hier jedem sagen, dass Sie Jüdin sind“, sagte sie. Sie arbeitete für eine internationale Organisation, die in der Woche nach meiner Abreise eine große Investitionskonferenz in der Stadt veranstalten würde, an der viele Juden aus aller Welt teilnehmen würden. „Es interessiert niemanden.“

    Abgesehen von der ständigen CNN-Berichterstattung über den bevorstehenden, anscheinend unvermeidlichen Konflikt im Fernseher in der Lobby meines Hotels sah ich in Riad nichts, was mir das Gefühl gab, mich in einer Region am Abgrund zu befinden: keine Proteste, keine Demonstrationen, keine palästinensischen Flaggen als Zeichen der Solidarität. Tagsüber fuhr mich ein Reiseleiter in die Wüste, um Kamel zu reiten, und zeigte mir unterwegs, wo der größte Freizeitpark der Welt gebaut werden sollte. Abends schaute ich mir in meinem Hotelzimmer endlose Clips von Menschen an, die ihre Unterstützung für Juden zum Ausdruck brachten – beispielsweise ältere Japaner, die in Tokio „Oseh Shalom“ sangen, oder schwule amerikanische Comedians, die in flotten Monologen die Hamas verurteilten –, in der Hoffnung, mich weniger isoliert zu fühlen.

    Mein Flug nach Abu Dhabi startete zu sehr früher Stunde, sodass ich verschwitzt und erschöpft am Abrahamic Family House ankam. Es war Freitag, zwei Tage bevor Israel seine Bodenoffensive in Gaza begann; Einheimische, die normalerweise Sabbatessen in der Gegend veranstalteten, hatten ihre Dienste vorsichtshalber abgesagt. Eine Person, die früher mit dem AFH verbunden war, erklärte mir, ich solle mir keine Sorgen machen: Das Zentrum sei mit „sichtbaren und unsichtbaren“ Sicherheitskräften gefüllt, was seltsamerweise dazu führte, dass ich mich weniger sicher fühlte.

    In der Lobby wurde ich von drei Frauen empfangen, zwei davon arbeiteten für das AFH, eine war für die Öffentlichkeitsarbeit zuständig. Ihr distanziertes Verhalten erinnerte mich an etwas, das ich über diesen Ort gelesen hatte: „Auf dem einstöckigen Gebäude befindet sich der Innenhof“, schrieb Izzy Kornblatt in Architectural Record, „der unter der brutalen Äquatorsonne viel zu heiß ist, um sich dort tagsüber aufzuhalten.Tatsächlich will man sich nirgendwo im Abrahamic House gerne aufhalten, außer vielleicht in den Ausstellungen des Besucherzentrums.“

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    Die nach Osten ausgerichtete Kirche des Hl. Franziskus (links) verfügt über Hunderte vertikal hängender Lamellen, die den Altarraum umrahmen. Ebenfalls abgebildet sind Details der Moschee (Mitte) und der Synagoge (rechts). Fotos von detail.de. Verwendet mit Genehmigung.

    Ich konnte seinen Standpunkt nachvollziehen. Während wir durch den Komplex schlenderten, fiel mir auf, wie das Design sowohl prächtig als auch streng gestaltet war. Das abstrakte Kruzifix in der Kirche, benannt nach dem Heiligen Franz von Assisi, wurde in Mailand aus 24-karätigem Gold gefertigt. Der Teppich in der Eminence Ahmed El-Tayeb Moschee fühlte sich unter meinen nackten Füßen weich an – Schuhe waren aus Respekt vor den muslimischen Gepflogenheiten nicht erlaubt – und der Ort war makellos; seine Gitterfassade im zarten Stil nordafrikanischer Mashrabiya warf fleckige Schatten auf den Boden, die unverkennbar wie Schneeflocken aussahen. Jede Kultstätte, so erklärte mir der Reiseleiter, habe ihren eigenen Duft, der im gesamten Raum verbreitet werde.

    Ich teilte jedoch nicht Kornblatts spätere Bemerkung, dass die Anlage Touristen Vorrang vor Gläubigen einräume. Jeder der Räume war aus religiöser Sicht voll funktionsfähig: In der Moschee konnte man fünfmal am Tag beten, in der Synagoge aus einer Thora-Rolle lesen und in der Kirche ein Baby taufen. Dass die Mehrheit der Menschen, die zum Beten hierher kamen, Muslime und nicht Juden oder Christen waren, erschien mir nicht verwerflich, sondern lediglich eine Frage der Demografie.

    Wir bahnten uns unseren Weg zurück durch den vorderen Ausstellungsbereich, wo Videos von Menschen, die in verschiedenen Sprachen beteten, in einer Endlosschleife liefen. Ein älterer australischer Mann, der uns erzählte, er sei orthodoxer Christ, versuchte jedes Mal, wenn wir ihn trafen, ein Gespräch mit uns anzufangen. „Wir gehen alle an denselben Ort“, erklärte er, „wir benutzen nur unterschiedliche Karten“ – eine Bemerkung, die so außerordentlich treffend war, dass ich angenommen hätte, er sei dafür bezahlt worden, sie zu sagen, hätten meine Führerinnen nicht versucht, seine Annäherungsversuche abzuweisen. Als zynisch veranlagter Mensch fragte ich mich immer wieder, wie es sein konnte, dass mir trotz all der Mängel dieses Ortes unerklärlicherweise die Tränen kamen. Als meine Begleiterinnen gegangen waren, schlich ich mich zurück in die Synagoge, die bis auf einen einzigen Wachmann leer war, nahm mir ein neues Gebetbuch aus dem Regal, setzte mich auf die glatte Eichenbank und weinte.

    Seit meinem besuch im Abrahamic Family House scheint dessen pluralistischer Traum weiter entfernt denn je. Juden sind zerrissen, während sie auf Nachrichten über ihre Geiseln warten; Gaza liegt unterdessen in Trümmern. Von Koexistenz zwischen Israel und Palästina reden selbst viele, die zuvor eine Zwei-Staaten-Lösung befürwortet hatten, nur noch leise. Zvi Kogan, ein Rabbiner, der die Gemeinde in Dubai betreute, wurde im November 2024, entführt und ermordet. Die Regierung hat die Täter schnell gefasst, aber das Bild des Landes als sicherer Hafen für Juden oder gar für alle Menschen, die anders sind, wurde getrübt.

    Was den Artikel betrifft: Die Chefredakteurin hat ihn monatelang zurückgehalten. Sie gab zu, dass sie unentschlossen war. Es kam ihr einfach zu seltsam vor, über ein interreligiöses Zentrum im Nahen Osten zu berichten, ohne näher auf die zunehmenden Spannungen zwischen Juden und Muslimen einzugehen, erklärte sie.

    Schließlich entschied sie sich, den Artikel zu verwerfen. Ich verstand warum. Wie naiv, wie illusorisch zu glauben, dass es einen Ort geben könnte, an dem alle Menschen miteinander auskommen. Wie lächerlich und blauäugig, zu versuchen, unseren Hass herunterzuspielen, unsere Missstände zu ignorieren, unsere Wut zu unterdrücken.

    Und doch dachte ich seit meiner Rückkehr immer wieder, dass ich an keinem Ort lieber gesessen wäre, als auf dieser Bank in diesem unvollkommenen, leeren Denkmal der Zusammengehörigkeit, weinend und betend für etwas Neues.

    Von KelseyOsgood Kelsey Osgood

    Kelsey Osgood ist Autorin. Ihre Arbeiten erschienen in The New Yorker, Time, und Harper’s Magazine.

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