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Wer hilft den Helfenden?
Ausländische Pflegekräfte laufen Gefahr in britischen Heimen ausgebeutet zu werden.
von Hazel Thompson
Dienstag, 14. Oktober 2025
Verfügbare Sprachen: English
Farah (29, name geändert) kam 2019 nach England, um dort ihren Master in BWL zu machen. Obwohl sie bereits Bachelor- und Masterabschlüsse im Ingenieurs- und Technologiebereich von indischen Hochschulen hatte, fand sie keine unbefristete Arbeitsstelle. Als ihr Studentenvisum auslief, musste sie ein Arbeitsvisum beantragen, sonst hätten sie, ihr Mann und ihr Baby das Land verlassen müssen.
Nach über 300 erfolglosen Bewerbungen erhielt Farah im Dezember 2022 endlich eine Zusage eines Pflegeheims bei Manchester. Die Betreiber des Heims versprachen ihr ein Sponsorship-Zertifikat, ein wichtiges Dokument, das ihren Aufenthaltsstatus an ihren Arbeitgeber bindet. Die britische Regierung vergibt diese Arbeitsvisa im Rahmen des Arbeitgebersponsorings, einem Programm, das Ausländern ermöglicht, bei Unternehmen zu arbeiten, die über eine amtliche Sponsorenlizenz verfügen. Das bedeutet auch, dass eine Person, deren Arbeitsverhältnis gekündigt wird, ihr Aufenthaltsrecht verlieren kann.
„Ich habe im Bewerbungsgespräch gleich klargestellt, dass sechs Arbeitstage in Folge wegen unseres Babys nicht möglich sind“, erzählt Farah. „Sie sagten mir zu, dass wir die Schichten so aufteilen könnten, dass ich vier Tage arbeite und mein Mann zwei, sodass wir einen Tag gemeinsam zu Hause frei hätten.“

Foto von Zaki Ahmed auf Unsplash (gemeinfrei).
Obwohl Pflegearbeit auf Einstiegsniveau weit von dem entfernt war, wofür Farah studiert hatte, war sie dankbar für diese Gelegenheit, und ihre ersten Arbeitserfahrungen in der Pflege waren positiv. „Ich wurde gut eingearbeitet und unterstützt“, erzählt sie. Ihre Vorgesetzten waren freundlich und hilfsbereit.
Nach einiger Zeit forderte der Job jedoch zunehmend mehr von ihrer Zeit. Farah und ihr Mann wurden in Schichtpläne hineingezwungen, die ihnen keine Zeit mehr für ein Familienleben ließen. Als Farah dies gegenüber ihren Vorgesetzten ansprach, reagierten diese gleichgültig oder sogar feindselig. Als das Paar versuchte, bestimmte Schichten abzulehnen, bekamen sie noch strapaziösere Arbeitszeiten zugeteilt.
Nach britischem Recht muss eine gesponserte Pflegekraft mindestens 37,5 Stunden pro Woche arbeiten und einen Stundenlohn von mindestens 11,44 £ erhalten. Beschäftigte müssen zwischen zwei Arbeitstagen mindestens elf Stunden frei haben und mindestens einen Ruhetag pro Woche oder zwei Ruhetage alle zwei Wochen haben. Zusätzlich stehen ihnen jährlich mindestens 5,6 Wochen bezahlter Urlaub zu. Mit diesen Regelungen hatten die tatsächlichen Arbeitszeiten von Farah und ihrem Mann nichts gemein.
Mitten in diesem Chaos brach eine Krankheitswelle aus. Eine Epidemie von Brechdurchfall ging durch das Pflegeheim und auch Farah, ihr Mann und ihre kleine Tochter erkrankten schwer. Trotzdem versuchte die Heimleitung vor allem, die Mitarbeiter zur Rückkehr an ihren Arbeitsplatz zu zwingen, und drohte ihnen mit Kündigung, wenn sie sich weigern sollten (scheinbar ohne Rücksicht auf die Patienten, die dadurch gefährdet würden).
Dann kam Corona, und sowohl Bewohner als auch Mitarbeiter waren betroffen. Farah und ihr Ehemann wurden positiv getestet, doch ihre Erkrankungen wurden nicht ernst genommen, und trotz ihres schlechten Zustands verlangte die Heimleitung, dass sie wieder zur Arbeit kommen. „Da wurde es wirklich schlimm“, sagt Farah. Sie erinnert sich, wie ihr Manager ins Telefon brüllte: „Ich habe Ihnen ein kostenloses Visum verschafft und Sie haben mir verschwiegen, dass Sie ein Kind haben! Warum haben Sie ihre Tochter nicht bei Ihrer Familie in Indien gelassen?“ Er drohte, eine Geschichte über sie zu erfinden, die sie direkt ins Gefängnis bringen würde. „Er wurde sehr aggressiv. Er schrie, und ich zitterte während des Telefonats am ganzen Körper.“
Farahs Mann kündigte, nicht aber Farah, da die Aufenthaltsgenehmigung aller Familienmitglieder von ihrem Visum abhing. Am Arbeitsplatz wurde die Stimmung immer schlechter.
„Manchmal musste ich Schichten arbeiten, die direkt aufeinanderfolgten. In fünf Monaten hatte ich keinen einzigen freien Tag und kein einziges freies Wochenende gehabt“, sagt Farah. Außerdem wurde sie vor ihren Kollegen angeschrien und gedemütigt.
Am Ende dieser fünf Monate wollte Farah zwei Wochen Urlaub nehmen, um zum ersten Mal in vier Jahren ihre Familie in Indien zu besuchen, die ihre zweijährige Tochter noch nie gesehen hatte. Das Kind benötigte außerdem eine spezielle Augenoperation, die in Indien vorgenommen werden sollte. Das Management lehnte zunächst ab, gewährte dann aber widerstrebend zehn Urlaubstage.
Nachdem die familie nach england zurückgekehrt war, stand Farah vor neuen Schwierigkeiten: Das Pflegeheim teilte ihr keine Schichten zu. „Zwei Wochen lang habe ich angerufen und gefragt, warum sie mich nicht auf den Dienstplan setzen, denn ich hatte kein Einkommen mehr. Sie sagten mir, das sei eine Strafe dafür, dass ich meinen Jahresurlaub genommen habe.“
Farah und ihr Mann konnten ihre Miete nicht zahlen, standen kurz vor der Obdachlosigkeit und mussten sich Geld von ihren Eltern in Indien leihen (die selbst nicht viel hatten).

Melissa hilft Farah dabei, die ausbeuterische Behandlung durch ihren Arbeitgeber zu melden. Foto mit freundlicher Genehmigung von Hazel Thompson.
Im Dezember 2023 machte ein britischer Kollege, der sich besser mit den Gesetzen und Hilfsangeboten auskannte, Farah auf die Gangmasters and Labour Abuse Authority (GLAA) aufmerksam – eine britische Behörde, die gegen Arbeitsausbeutung vorgeht. Sie wandte sich auch an Justice and Care, eine Organisation, die mit der britischen Polizei zusammenarbeitet und Opfern solcher Arbeitsrechtsverletzungen hilft. In den letzten sieben Jahren habe ich zusammen mit Justice and Care über verschiedene Begebenheiten berichtet und war auch bei polizeilichen Ermittlungen dabei. In den letzten zwei Jahren hat die Organisation einen erheblichen Anstieg der Ausbeutungsfälle im Pflegesektor beobachtet.
Justice and Care brachte Farah mit einer ihrer „Beraterinnen für Betroffene“ zusammen. Melissa (auch ein Pseudonym) informierte Farah über ihre Rechte und erklärte ihr, wie sie die Ausbeutung durch ihren Arbeitgeber melden kann. Melissa half Farah dabei, ihre Erfahrungen offiziell bei der GLAA zu melden, woraufhin diese das Pflegeheim untersuchte.
Andere Pflegekräfte im Heim beschwerten sich anonym, aber als die Einwanderungsbehörde UKVI und GLAA kamen, um die Mitarbeiter einzeln zu befragen, wollten sie nicht reden, wahrscheinlich aus Angst vor den Folgen. Verliert ein Unternehmen seine UKVI-Sponsorenlizenz, darf es keine ausländischen Arbeitnehmer mehr beschäftigen, und die Betroffenen haben dann nur 60 Tage Zeit, um einen neuen Sponsor zu finden oder das Land zu verlassen – eine Konsequenz, die wie eine Drohung eingesetzt werden kann.
Als Farahs Arbeitgeber herausfand, dass sie die Whistleblowerin war, versuchte er, sie zur Rücknahme der Beschwerde zu zwingen, unter der Drohung, dass alle anderen Angestellten ihretwegen ihre Jobs und ihre Lebensgrundlage verlieren würden. Die Geschäftsleitung weigerte sich zudem, ihr ein Arbeitszeugnis für eine künftige Beschäftigung oder ein gesponsortes Visa auszustellen.
Die Untersuchung wurde mit einer geringen Entschädigung für Farah abgeschlossen. Dem Pflegeheim wurde die Sponsorenlizenz für kurze Zeit entzogen, aber nach einer Untersuchung durch das UKVI nahm das Unternehmen ein paar Änderungen vor und erhielt seine Lizenz zurück. Farah, die noch Kontakt zu einigen früheren Kollegen hat, tröstet sich damit, dass sich die Arbeitsbedingungen dort nach dieser Intervention wenigstens etwas gebessert haben.
Leider ist farahs geschichte kein Einzelfall. In meiner 30-jährigen Laufbahn als Fotojournalistin und Filmemacherin habe ich fast 70 Länder bereist, um vor Ort Menschen zuzuhören. Es ist mein Beruf, die verstörenden Wahrheiten über moderne Sklaverei, Menschenhandel und Ausbeutung zu recherchieren, dokumentieren und aufzudecken. Trotzdem war selbst ich schockiert, als ich realisierte, dass solche Ausbeutung in meinem eigenen Land und direkt vor meiner Haustür stattfindet.
Es besteht eine enorme Nachfrage nach Menschen, die bereit sind, in Pflegeberufen zu arbeiten, einem Bereich, den viele gebürtige Briten als unattraktiv empfinden. Dies hat sich seit dem Brexit noch verstärkt, da die Zuwanderung von EU-Bürgern, die in diesem Sektor arbeiten wollen, deutlich zurückgegangen ist. Die neuesten Zahlen der Regierung zeigen, dass 2023 fast 106.000 Visa an Pflegekräfte vergeben wurden, dreimal so viele wie 2022. Indien, Nigeria, Simbabwe, Ghana, Bangladesch und Pakistan führen die Liste der Nationalitäten an, aus denen Menschen einreisen, um die Arbeitskräftelücke zu schließen. Obwohl es einige Schutzmechanismen gibt, kennen viele derjenigen, die im Pflegebereich arbeiten wollen, ihre Rechte nur unzureichend.

Foto von Rendy Novantino auf Unsplash (gemeinfrei).
Viele dieser Arbeitnehmer werden über die tatsächlichen Kosten ihres Visums getäuscht. Häufig, so Melissa, verlangt ein vermeintlicher Mittelsmann „illegale Gebühren von 10.000 bis zu 50.000 Pfund für ein Visum, das eigentlich nur knapp über 300 Pfund kostet.“ Um für diese unrechtmäßigen Kosten aufzukommen, verkaufen viele ausländische Arbeitskräfte Grundstücke oder Betriebe in ihren Heimatländern.
Neun von zehn Fällen, die bei der GLAA eingehen, stammen aus dem Pflegesektor, sagt Melissa. Die Opfer „vertrauen uns an, wie schwer es ist, neue Sponsoren zu finden, während sie gleichzeitig unter dem Druck stehen, ihre Familien ernähren zu müssen. Sie haben Angst, ihre Familien daheim zu enttäuschen und einzugestehen, dass sie es nicht geschafft haben. Das ist sehr peinlich und beschämend für sie.“
Melissa hebt hervor, welche psychische und finanzielle Belastung solche Ausbeutung bedeutet, und erzählt ein drastisches Beispiel:
Wir hatten eine Frau, die mit ihrem Mann und zwei Kindern nach Großbritannien kam und 28.000 Pfund für ihren gesponserten Job bezahlt hatte. Um die illegalen Gebühren zu bezahlen hatte sie die Rente ihres Vaters aufgebraucht. Als sie sich über ihre Arbeitszeiten beschwerte, wurde ihr gesagt: „Sie sind mit meinem Visum hier, Sie werden tun, was man Ihnen sagt.“ Die Frau wurde auch psychisch schwer missbraucht, und eines Tages kam ihr Mann nach Hause und fand sie beim Verfassen eines Abschiedsbriefes. Glücklicherweise konnte er sie aufhalten.
Justice and Care hält Arbeit unter diesem Druck für extrem genug, um den Begriff „Sklaverei“ zu rechtfertigen. Der GLAA zufolge ist Zwangs- oder Pflichtarbeit definiert als „jegliche Arbeit oder Dienstleistung, die einer Person unter Androhung einer Sanktion abverlangt wird und für die sich diese Person nicht freiwillig zur Verfügung gestellt hat.“ Der neueste Bericht der Organisation konzentriert sich nur auf Arbeitsausbeutung und lässt andere Formen moderner Sklaverei wie sexuelle Ausbeutung und Zwangsbettelei außen vor.
Der Bericht zeigt deutlich, dass die Verknüpfung von Aufenthaltsstatus und Beschäftigung eine große Gefährdung darstellt. Aus Furcht vor Abschiebung oder Jobverlust schweigen viele, auch bei unzumutbaren Arbeitsbedingungen.
Melissa bemerkt: „Viele ausländische Arbeitnehmer glauben, dass ihre Sponsoren sie abschieben können. Diese Angst hält sie gefügig, auch wenn sie ausgebeutet werden.
Der Pflegesektor ist laut GLAA-Bericht ein besonders problematischer Bereich und wird am häufigsten wegen Anzeichen moderner Sklaverei hervorgehoben. Allein im letzten Quartal kamen 47 Prozent aller Berichte über Zwangsarbeit aus Pflegeheimen und ähnlichen Einrichtungen.
Der Bericht zeigt verschiedene Ausbeutungsformen auf. Im Vordergrund stehen zu niedrige oder vorenthaltene Löhne und ungeklärte Abzüge. Die zweithäufigste Ausbeutungsform sind überlange Arbeitszeiten, vor allem bei Pflegejobs, wo Arbeitnehmer während ihrer Schichten zwischen verschiedenen Orten pendeln müssen.
Eine weitere wichtige Erkenntnis ist der direkte Zusammenhang zwischen Ausbeutung und Unterbringung durch den Arbeitgeber. Ein Drittel der Betroffenen lebten unter schlechten, von ihrem Arbeitgeber bestimmten Bedingungen. Das schwächt Arbeitnehmer zusätzlich, weil sie Angst haben, ihre Unterkunft zu verlieren.
Die meisten gemeldeten Betroffenen waren weiblich. Die Ausbeuter hingegen waren meist Männer und überwiegend Briten. Das zeigt ein problematisches Machtgefälle.
Andrew brown, leiter der nationalen Ermittlungsabteilung bei der GLAA verfolgt, wie Arbeitsausbeutung und moderne Sklaverei im britischen Pflegebereich zunehmen. Seine Erkenntnisse werfen ein Licht auf die systemischen Probleme, die diese Verstöße ermöglichen.
Die GLAA hat in Sektoren wie Gartenbau, Landwirtschaft, Lebensmittelverarbeitung und Muschelfischerei erfolgreich ein Lizenzsystem eingeführt, mit strenger Aufsicht durch rigorose Inspektionsverfahren. Erwachsenenpflege gehört jedoch nicht zu diesen Sektoren und so klafft hier eine Regulierungslücke. Die wachsende Nachfrage nach Pflegeleistungen, kombiniert mit dem geringen Interesse britischer Bürger an dieser Arbeit und generell unattraktiven Löhnen und Bedingungen, „schaffen perfekte Bedingungen für Ausbeutung“, so Brown.
Der starke Anstieg der Ausbeutungsfälle folgt auf die Entscheidung der Regierung vom Februar 2020, ausländischen Pflegekräften befristete Visa zu gewähren, die zuvor höher bezahlten Arbeitnehmern vorbehalten waren. In den folgenden 18 Monaten wurden 180.000 Visa für das Gesundheits- und Pflegewesen erteilt, fast dreimal so viel wie zuvor. Mehr als 165.000 freie Stellen wurden besetzt.
Zwischen August 2020, als das Visum für Gesundheits- und Pflegepersonal eingeführt wurde, und März 2024, dem letzten im Bericht erfassten Monat, stieg die Zahl der Pflegeanbieter mit einer Sponsorenlizenz für Visa von knapp über 250 auf mehr als 3.200. Inzwischen wurden fast 200 Anbieter wegen schlechter Praktiken von der Liste gestrichen.
Brown hebt hervor, dass sich die Partnerschaft zwischen der GLAA und Organisationen wie Justice and Care als sehr wertvoll für die Bereitstellung eines unterstützenden Netzwerks für Ausbeutungsopfer erwiesen hat. Er hofft auf eine bessere Regulierung der Branche und mehr Zusammenarbeit zwischen den Behörden. „Wir brauchen Regelungen, die Arbeiter vor skrupellosen Anwerbern und vor dem Teufelskreis der Ausbeutung durch das jetzige Sponsorensystem schützen“, sagt er.
Melissa möchte auch die Menschen sensibilisieren, die auf Pflegekräfte angewiesen sind. Diese werden oft übersehen, obwohl sie direkt vor unseren Augen arbeiten. „Wenn Sie Pflegeheime besuchen oder Pflegekräfte treffen, fragen Sie, wie es ihnen geht. Ist alles in Ordnung? Sind sie überlastet?"
Dank Melissa konnte Farah einen neuen Arbeitgeber finden und wieder Fuß fassen. Sowohl sie als auch ihr Mann arbeiten jetzt in einem anderen Unternehmen, und ihre Tochter entwickelt sich prächtig.