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Rezension: Die Großzügigkeit der Felsenbirne
Die Richtige | Roman | Martin Mosebach | (dtv, 352 Seiten)
In Martin Mosebachs Die Richtige wird ein Gemälde zum Machtinstrument. Der Maler Louis Creutz ist ein kauziger und den meisten Menschen gegenüber snobistischer Einzelgänger, der für seine Arbeit jedoch stets nach neuen Modellen sucht. Da begegnet er der jungen Astrid Thorblén, welche Freunde von ihm eigentlich mit jemand anderem verkuppeln wollen, doch durch diesen Umstand lernt auch er sie kennen und ist sofort fasziniert von ihr. Was wie eine klassische Geschichte von Inspiration und Muse beginnt, entpuppt sich bald als kalkuliertes Machtspiel. Creutz nähert sich Astrid nicht um ihrer selbst willen, sondern um sie in einem Gemälde zu „verwerten“ und „richtiger“ erscheinen zu lassen, als sie tatsächlich ist. Das Modell wird zur Projektionsfläche, die Frau hinter dem Bild zu einem und nicht dem ersten „Objekt“ in der Laufbahn des Malers.
So entsteht ein beklemmendes, zugleich erotisch aufgeladenes Spannungsverhältnis. Wer sich malen lässt, riskiert, durch das Auge des Künstlers seiner eigenen Realität beraubt zu werden. Der Roman entfaltet sich wie ein Kammerspiel: streng konzentriert, von äußerer Kargheit bestimmt, immer wieder auf den Kernkonflikt zurückführend. Alles kreist um den Blick – um das Sehen und Gesehenwerden, um den auch auf die Persönlichkeiten bezogenen Unterschied zwischen Erscheinung und Darstellung.
Man liest den Text gebannt, auch wenn die Figuren nur teilweise Sympathie zulassen, aber gerade diese Kälte macht ihn packend. Mosebach lässt bisweilen poetisch vertiefende Exkurse einfließen, welche vor allem die psychologische Intensität erhöhen und vertraut ansonsten einer Sprache, die präzise, rhythmisch und zugleich distanziert wirkt. Jeder Satz ist gesetzt wie ein Pinselstrich des Malers: nichts Überflüssiges, keine Beiläufigkeit. Es ist, als würde man einer spannenden Schachpartie zusehen, bei der die Figuren Menschen sind. Motive wie Vögel oder das Thema der „Jagd“ tragen zu dieser Atmosphäre bei. Sie markieren, dass nichts zufällig erscheint, sondern alles Bedeutung hat. Zudem bleibt die Warnung vor Menschen hängen, die Jagd auf die Biographie anderer machen. Hier liegt ähnlich wie bei Søren Kierkegaard eine Art „Tagebuch eines Verführers“ vor, der sich hier aber, wie so viele Verführer, gern selbst als der Verführte oder „Betrogene“ versteht, während er andere „creutzigt“. Creutz agiert wie ein Forscher, der ein Experiment durchführt, ohne emotional berührt zu sein – der Mensch wird Material, das Ziel liegt allein im Werk und seiner Ästhetik.
Doch gerade diese schonungslose Entlarvung menschlicher Abgründe macht den Reiz der Lektüre aus. Die Richtige ist nicht behaglich, sondern konfrontiert uns mit Überlegungen und Fragestellungen über Kunst und Macht, über Ideal und Fehlbarkeit, über Anziehung und Demütigung. Kunstbeflissene, aber auch jene, die es erst werden wollen, kommen hier ebenso auf ihre Kosten wie Leser, die die Abgründe der menschlichen Psyche mit ihren Niederträchtigkeiten und Raffinessen ausloten möchten. Wer sich darauf einlässt, erlebt eine ebenso verstörende wie faszinierende Lektüre.