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Körperlos und doch real
Engel, der christliche Kosmos und wir.
von Alison Milbank
Donnerstag, 11. Dezember 2025
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Wenn die geistlichen im Münster von Southwell der Gemeinde gegenüberstehen, sehen wir sie umrahmt von einer Schar an Engeln im Glas des großen Westfensters, das 1996 installiert wurde. Seraphim und Cherubim leuchten wie Sterne, tanzen, schwenken Weihrauch oder wirbeln geheimnisvoll glühende Kugeln. Andere halten Bilder der Schöpfung und blicken uns fragend an, als fänden sie Menschen seltsam und zugleich faszinierend. Bei den Krippenspielen zu Weihnachten umgeben uns wieder die himmlischen Heerscharen: kleine Mädchen mit glitzernden Flügeln und flauschigen Heiligenscheinen, die heutzutage alle lieber Engel spielen wollen als Maria.
Diese Präferenz ist nicht überraschend. Wir leben in einer Kultur, in der Engel eine starke Präsenz haben. Im Jahr 2023 ergab eine Umfrage, dass 69 Prozent der Amerikaner an Engel glauben (davon 21 Prozent Personen, die nicht an Gott glauben). Im weniger frommen Großbritannien waren es 2009 nur 46 Prozent, 2016 nur noch ein Drittel, aber selbst von denjenigen, die nicht an Gott glaubten, glaubten 20 Prozent an Engel. Die Bible Society stellte bei einer Umfrage im Jahr 2016 überrascht fest, dass in Großbritannien elf Prozent der Frauen und acht Prozent der Männer angaben, einen Engel gesehen zu haben. London scheint der am meisten von Engeln heimgesuchte Ort Großbritanniens zu sein. In Peckham Rye erblickte der achtjährige William Blake seine ersten Engel in einem Baum, ihre Flügel leuchteten zwischen den Ästen.
Sämtliche Abbildungen: Engelsfenster des Southwell Münster, Nottinghamshire, England. Fotografien von David Iliff, WikiMedia (gemeinfrei).
Und doch sind Engel nicht in allen christlichen Kreisen gleichermaßen willkommen. Unter Liberalen ist der entmythologisierende Geist Rudolf Bultmanns noch immer am Werk. Er versucht das Unmögliche, indem er den Kern des Evangeliums von seinem „kosmologischen Beiwerk“ trennen will. Bultmann schreibt: „Man kann nicht elektrisches Licht und Radioapparat benutzen und in Krankheit moderne medizinische und klinische Mittel in Anspruch nehmen und gleichzeitig an die Geister- und Wunderwelt des Neuen Testaments glauben.“ Selbst gemäßigtere Stimmen begegnen der neuen Engelsreligion mit Skepsis, weil sie in ihr eine oberflächliche und anspruchslose New-Age-Variante des Glaubens sehen, die von ihren Anhängern keinerlei Verbindlichkeit fordert.
Es ist unbestreitbar, dass das säkulare Konzept des Schutzengels etwas von einem Amulett oder Talisman an sich hat, aber wir sollten Engel deshalb nicht komplett ablehnen. Engel sind biblisch bezeugte göttliche Boten im Alten und noch häufiger im Neuen Testament. Sie verkünden Christi Empfängnis, Geburt, Auferstehung und Himmelfahrt. Für Christus sind diese Geister eine vertraute Realität; sie sind seine Gefährten in der Wüste und unterstützen ihn in seinem schmerzerfüllten Gebet in Gethsemane. Er spricht von den Engeln seiner „Kleinen“, die das Antlitz Gottes sehen (vgl. Mt 18,10) und kündigt sein Kommen mit den Engeln in den synoptischen Evangelien an. Im Johannesevangelium prophezeit er seinen Jüngern, dass sie Engel über dem Menschensohn auf- und niedersteigen sehen werden (vgl. Joh 1,51).All dies nur als „kosmische Dekoration“ abzutun, birgt die Gefahr, die theologische Bedeutung des Lebens und Wirkens Jesu zu verlieren.
In der Tat sind die biblischen Engel nicht übernatürlich und „mythisch“, sondern natürliche Wesen wie wir. Die Engel im Christentum werden sogar von einem neuplatonischen Schriftsteller wie Pseudo-Dionysius dem Areopagiten in seiner Himmlischen Hierarchie aus dem fünften Jahrhundert als direkt von Gott geschaffen betrachtet: Sie sind keine Emanationen, sondern unsere Freunde und Wegweiser. Jesu Bemerkung über die Engel eines jeden „Kleinen“ führte Gregor den Großen zu der Annahme, dass wir alle einen Schutzengel haben. In einem Gebet, das ich als Kind lernte, hatte ich vier: „Einer zu beten, einer gibt acht, zwei tragen meine Seele sacht.“ Das war ein tröstlicher Gedanke inmitten der Schrecken der Nacht und bestätigte meinen Wert als beschütztes Kind Gottes. Und es zeigte mir, dass Gott auch ganz andere Nachkommen hatte.

Engel machen das Universum zu einem freundlicheren, vertrauteren Ort und zeigen uns vor allem, dass wir nicht die einzigen bewussten Wesen in Gottes Schöpfung sind. Gerade ihr Anderssein hilft uns zu verstehen, was Menschsein bedeutet. Wir überschätzen uns schnell, wenn wir uns nur mit Tieren und Pflanzen vergleichen, aber die Existenz reiner Intelligenzen weist uns in unsere Schranken und rückt uns aus dem Mittelpunkt.
Dennoch sagt Christus, dass selbst diese mächtigen Geister nicht wissen, wann die Endzeit anbricht, und im Hebräerbrief (1,6ff) zeigen diese ihr Staunen über die Menschwerdung. Menschen mögen durchaus Wissen besitzen, das den Engeln fehlt. Ich bin immer wieder von den Engeln in mittelalterlichen Kreuzigungsszenen bewegt, wie etwa von Giotto. Sie schweben um das Kreuz in Haltungen rasenden Leids und Entsetzens, unfähig zu begreifen, was geschieht, wie Gott leiden kann. Gott hat uns Menschen Geheimnisse offenbart, über welche die Engel staunen.
Auch unsere Körperlichkeit ist ein Segen, den die Engel nicht haben. Die Rabbiner lehrten tatsächlich, dass diese auf die menschliche Verkörperung neidisch sind. Miltons gefallener Erzengel, Satan, ist von Neid und Hass auf Adam und Eva erfüllt, weil sie von Gott geliebt werden, aber auch wegen ihrer Freude an der körperlichen Liebe: „Verhaßter Anblick! Voll von Qual und Pein! So selig Eines in des Andern Armen.“

Wir lernen von den Engeln, die Richard Hooker als „Vorbild und Ansporn“ für die Menschheit bezeichnete. Sie lehren uns, wie man anbetet, von den Seraphim, die im Tempel bei Jesaja „Heilig, heilig, heilig ist der HERR der Heerscharen“ rufen, bis hin zu den Engelschören der Offenbarung. Nicht zufällig beten wir „mit Engeln und Erzengeln und der ganzen himmlischen Schar“ denn die Bibel zeigt sie uns als Fürsprecher. Im Buch Daniel erscheint ein Engel, um seine Bitten zu erfüllen, und in der Offenbarung hält ein Engel die Gebete der Gläubigen in einer Schale und fügt Weihrauch hinzu, um ihren Aufstieg zu beschleunigen (vgl. Dan 10 und Offb 5).
Dies bedarf einer kleinen Erklärung. Im Gebet versuchen wir, unseren Willen und unsere Wünsche mit dem guten und vollkommenen Willen Gottes in Einklang zu bringen. Die Engel stehen uns in diesen göttlichen Zielen bei: Thomas von Aquin unterteilt diese in drei Triaden. Erstens leiten und beschützen Engel und Erzengel uns und die Kirche, während Fürstentümer die Nationen führen; zweitens regieren und ordnen die Herrschaften die Engelswelt; Engelskräfte ermöglichen Wunder und Mächte führen den geistlichen Kampf. An der Spitze der dritten Triade brennen die Seraphim in Gottes Liebe, die Cherubim spiegeln seine Weisheit wider und die Throne vermitteln seine Autorität an die zweite Gruppe. Im Gebet also verbünden wir uns mit den Engelskräften, und durch Eingebung kommen sie uns nahe und erheben uns weiter zu Gottes Liebe und Weisheit. Augustinus erinnert uns daran, dass es in der Natur der Engel liegt, sich liebend und anbetend an Gott zu klammern. Uns zu helfen ist daher ein Akt der selbstlosen Liebe ihrerseits.
Der christliche Kosmos ist ein gewaltiger Austausch von Liebe und Gebet zwischen Engeln und Menschen, der auch alle niederen Geschöpfe umfasst, die Gott durch ihr Dasein und Handeln anbeten. Wir dürfen nicht vergessen, dass Jesus im Markusevangelium sowohl von wilden Tieren als auch von Engeln begleitet wird, als er in der Wüste betet (vgl. Mk 1,13).
Wie die Menschheit nach George Herbert „der Hohepriester der Welt“ ist und das unbewusste Gebet der Natur darbringt, so helfen die Engel bei unserem menschlichen Gebet. Wir alle dienen einander – das ist Gottes Geschenk in der Ökonomie der Gnade. Bewegend zeigt sich dies in der Umarmung von Menschen und Engeln im unteren Bildteil von Botticellis Mystischer Geburt, einem Ausdruck freudiger Wechselseitigkeit.

Vielleicht ist einigen Lesern der Gedanke unangenehm, dass Engel Fürbitte leisten. Kann Gott nicht einfach direkt kommuniziern? Wenn man sich jedoch die biblischen Begegnungen zwischen Engeln und Menschen ansieht, stellt man fest, dass kein Engel allein, als göttlicher Stellvertreter, kommt. Er bringt das mit, was er repräsentiert. Stets offenbart sich das Göttliche durch den engelhaften Besucher: Gott war anwesend, als die geheimnisvollen Gäste mit Abraham speisten und als der Engel mit Jakob rang. Gott sendet den Erzengel Gabriel zu Maria, um ihr das Kommen des Heiligen Geistes anzukündigen und die Menschwerdung einzuleiten. Durch die Menschwerdung kann alles und jeder von Gott sprechen und seine Gegenwart vermitteln – Gott schenkte sich der Welt in Christus und strahlt aus allem hervor. Wir alle – Menschen, Engel, Pflanzen und Tiere – spiegeln Gott füreinander wider.
Die Verkündigung bringt die menschliche und die engelhafte Ordnung in neuer Beziehung zusammen – beide offenbaren sich einander neu. Keine frühere Szene der Heiligen Schrift zeigt eine so innige Begegnung mit einem Engel, ein so ausgedehntes Gespräch und gegenseitiges Kennenlernen.
Wenn ich die ernsten Gesichter der Engel im Westfenster von Southwell betrachte, welche die zentrale Gestalt Marias, der Schutzpatronin des Münsters, umgeben, empfinde ich etwas von derselben Faszination für eine Lebensweise, die so „anders“ ist und zu der ich dennoch berufen bin. Wie Christus verheißen hat, wird unser Leben im Himmel dem der Engel ähnlicher sein. Sie sind auch ein wesentlicher Teil unseres Lebens hier und jetzt. Patrick Reyntiens, der Schöpfer des Southwell-Fensters, malte diese Geister, weil eine unsichtbare Engelshand ihn vor dem Tod gerettet hatte: sie hatte ihn davor bewahrt, überfahren zu werden. Engel sind Boten der göttlichen Vorsehung, und wenn wir sie erwarten, werden sie kommen und uns Gefährten sein, wie Raphael dem jungen Tobias.
Spotten wir also nicht über die Engel der Populärkultur. Sie sind Zeichen einer Sehnsucht nach Transzendenz, nach einer Wirklichkeit jenseits der materiellen Welt und nach unserer himmlischen Bestimmung. Weisen wir stattdessen auf die wahren Engel der christlichen Offenbarung hin, die mächtig sind. Sie können uns Gott nahebringen, uns helfen und schützen. Wer den Dienst der biblischen Engel versteht, wird bereit sein, dem König zu begegnen, der sich für unsere Welt erniedrigte und geringer wurde als die Engel, um mit Herrlichkeit und Ehre gekrönt zu werden, der den Tod und alles Böse besiegte. Bei seiner Wiederkunft wird er mit seinen Engelscharen kommen, die uns einladen werden, mit ihnen im himmlischen Jerusalems zu weilen, wo unser Lobpreis vollendet und unser Austausch miteinander unendlich sein wird.