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Die Sprache der Blumen
Was uns die Pflanzen erzählen
von William Thomas Okie
Donnerstag, 1. August 2024
Verfügbare Sprachen: English
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Als Junge schlief ich nachts mit einer Kassette ein, auf der Shel Silverstein aus seinem Gedichtband Where the Sidewalk Ends vorlas. Silversteins Stimme war hoch und etwas rau, aber verspielt und einladend, eine Art Schotterstraßen-Stimme. Meine Lieblingstracks waren damals die, die Silversteins bizarren Sinn für Humor zeigten: die Schnecke mit den scharfen Zähnen, die in der Nase sitzt, bereit Finger abzubeißen, der sadistische Zahnarzt, der einem Krokodil die Zähne zieht, der alberne König, dessen Kiefer mit einem „extra klebrigen Erdnussbuttersandwich“ verklebt sind. Ich hielt nicht viel von dem klagenden Gedicht „Forgotten Language“, in dem Silverstein, begleitet von ein paar Akustikgitarrenakkorden und einem Synthesizer, der den Abstieg einer „fallenden, sterbenden Schneeflocke“ nachahmte, erzählt:
Einst sprach ich die Sprache der Blumen.
Wie klang sie?
Wie klang sie?
Silversteins Gedicht ist mir entfallen. Aber ich erinnere mich daran, dass ich Pflanzen liebte. Wie viele meiner Freunde besuchte ich oft die Bücherei. Jedoch lieh ich mir genauso viel Fachliteratur über das Gärtnern aus, wie Bücher aus der Kinderabteilung. Ich schloss mich einer Saatgutbörse an, die ich in einer Zeitschrift entdeckt hatte, die aus mir unerfindlichen Gründen „Reminisce“ (Erinnerungen) hieß, und gewann dadurch einige ältere Damen als Brieffreunde. In der Mittelstufe umfasste mein Gartenportfolio einen Gemüsegarten, einen Kräutergarten, ein sonniges Staudenbeet mit Chrysanthemen und Falschem Indigo, einen Schattengarten mit Farnen und Hostas und einen Wassergarten: ein winziger Teich mit orangefarbenen und weißen Shubunkin-Fischen, einem plätschernden Wasserfall, Seerosen, gelben Schwertlilien und mindestens einem Egel. Neben blutsaugenden Würmern sammelte ich auch Stecklinge, Samen und andere Objekte. Meine Mutter nähte mir eine Weste mit Taschen und Schlaufen für die Glasbehälter, die ich zum Sammeln verwendete. Ich war ein seltsames Kind.
Die Sprache der Blumen – wie lautet sie? Das würde ich auch gerne wissen. Als Kind schien sie einfach genug zu sein. Wie ich kürzlich erfahren habe, ist sie eine gemeinsame Sprache für Menschen aus vielen Orten und Zeiten. Als Zehnjähriger gehörte ich zu jener Mehrheit, die seit jeher davon ausgingen, dass Pflanzen sprechen können.
Was ist die Sprache der Blumen? Floristen sind seit langem darauf bedacht, uns die Symbolik bestimmter Arten und Farben zu verkaufen. Das 19. Jahrhundert, mit seinen Fortschritten im klimatisierten Anbau und Transport und seiner enormen Ausweitung der Benimmregeln, erlebte einen dramatischen Aufschwung des Blumenhandels, und wenig überraschend, auch eine Flut an Büchern, die erklärten, wie man mit Blumen spricht. Ein beliebtes Buch aus dem Jahr 1855 trug den Titel Floras Lexikon. Der Untertitel eines Bandes von 1864 über Die Sprache und Empfindungen der Blumen versprach, „den Namen jeder Blume, der ein Gefühl zugeordnet wurde“ zu enthalten. Solche Blumenführer waren im Wesentlichen Code-Bücher für Absender und Empfänger. Laut Die Sprache der Blumen, herausgegeben von F. Warne, symbolisierte eine Pfirsichblüte: „Deine Qualitäten, wie auch dein Charme, sind unübertroffen“, während eine Resede bedeutete: „Deine Qualitäten übertreffen deinen Charme“ und ein Spindelstrauch meinte: „Dein Charme ist in mein Herz eingraviert.“ Nach Arthur Freelings Blumenbuch (1851) bedeutete ein Strauß mit Pfirsichblüten, Buchsbaum, Zypresse, Ringelblume, Nelke und Maiglöckchen: „Ich bin dein Gefangener, aber dein Stoizismus treibt mich zur Verzweiflung. Gib mir deine Liebe und führ’ mich zurück ins Glück.“
Die Menschen haben die Sprache der Pflanzen aus einer Vielzahl an Gründen studiert, der wichtigste ist vielleicht, dass Pflanzen Heilkräfte haben. Laut einer berühmten Legende der Cherokee wurde ein Rat der Tiere unter dem Vorsitz des Hornkäfers einberufen, um das Problem der Grausamkeit und Ungerechtigkeit der Menschen gegenüber anderen Tieren zu behandeln. Nachdem die Versammlung den Menschen einstimmig als schuldig verurteilt hatte, hielt sie eine Sitzung ab, in der sie die Idee der Krankheiten als gerechte Rache entwickelte. Die Mitglieder des Rates nannten einer nach dem anderen eine Krankheit, wobei der Hornkäfer „jede neue Krankheit mit Freude begrüßte und schließlich in einem Anfall von rachsüchtiger Freude umkippte“. Die Tiere planten nichts Geringeres als die Ausrottung der Menschheit.
Doch dann hörten die Pflanzen von der tierischen Verschwörung und beeilten sich, den Menschen zu helfen:
Jeder Baum, jeder Strauch und jedes Kraut, bis hin zu den Gräsern und Moosen, erklärte sich bereit, ein Heilmittel für eine der genannten Krankheiten zu liefern, und alle sagten: „Ich werde erscheinen, um dem Menschen zu helfen, wenn er mich in seiner Not anruft.“ So entstand die Medizin. Die Pflanzen, von denen jede ihren Nutzen hat, so wir ihn nur kennen, liefern das Gegenmittel zu dem Übel, das die rachsüchtigen Tiere anrichten… Wenn der Arzt im Zweifel ist, schlägt ihm der Geist der Pflanze das richtige Mittel vor.
Diese Entstehungsgeschichte, die im späten neunzehnten Jahrhundert von dem Ethnologen James L. Mooney gesammelt wurde, hat viel zu bieten, nicht nur die Tatsache, dass ein Hornkäfer die Versammlung leitet und vor Lachen auf den Rücken fällt. Die moderne Epidemiologie hat bestätigt, dass Krankheiten tatsächlich vom Tier auf den Menschen übergehen können. Beulenpest, Borreliose, Malaria, Schlafkrankheit, E. coli, Salmonellen, Schweinegrippe, Vogelgrippe und vielleicht Covid-19 haben tierische Vektoren. Die meisten epidemischen Krankheiten, mit denen die Ureinwohner konfrontiert waren, machten sich deren fehlende Viehhaltung zunutze, die ihr Immunsystem anfällig für europäische Krank-heitserreger gemacht hatte. Man fragt sich, ob die Hornkäfer-Legende eine Art Hommage an diese verheerende Tatsache ist.
Noch interessanter ist, dass in der Cherokee-Geschichte Pflanzen nicht nur als nützliche Substanzen, sondern als proaktive dargestellt werden. Der Geist der Pflanze schlägt das richtige Heilmittel vor. Im Europa der frühen Neuzeit wurde die allgemeine Annahme, dass Pflanzen eine göttliche Bestimmung als Heilmittel haben, in der „Signaturenlehre“ systematisiert. Die Idee dahinter war, dass Pflanzen Merkmale oder Signaturen aufweisen, die ihren Zweck anzeigen. Farne mit ihren Fiedelköpfen, die sich zu gesunden Wedeln ausdehnen gegen Arthritis und Rheuma. Eine Orchidee in Form eines männlichen Geschlechtsorgans gegen Impotenz. Steinbrech, der die Felsen, auf denen er wächst, zu zerbrechen scheint, gegen Nierensteine. Augentrost mit seinen gestreiften Blütenblättern, die blutunterlaufenen Augen ähneln, bei Augenproblemen. Auch der Ort kann eine Signatur sein: Der Weidenbaum, der auf feuchtem Boden wächst, von dem man annimmt, dass er Schüttelfrost und Fieber hervorruft, schien ein gutes Mittel gegen diese Symptome zu sein und war es auch, denn die Weidenrinde enthält Salicylsäure, der Wirkstoff von Aspirin. Sassafras und Guajak, Pflanzen aus der Neuen Welt mit starkem Aroma, schienen geeignet, Syphilis zu heilen, von der man ebenfalls annahm, sie stamme aus der Neuen Welt.
Die Vorstellung, dass Pflanzen mit ihren Verwendungszwecken „signiert“ sind, ist aus offensichtlichen Gründen verlockend. Die menschliche Gesundheit ist komplex und geheimnisvoll, und es ist schön zu wissen, dass wir nicht einfach so dem Tod überlassen wurden. Salicylsäure aus Weidenrinde ist vielleicht der berühmteste Erfolg dieses Ansatzes für Heilpflanzen, aber auch die rötlichen fleischigen Stängel des Portulaks, die ein wenig wie Würmer aussehen, scheinen einigermaßen wirksam bei der „Kontrolle von Darmparasiten“ zu sein. Auch Augentrosttropfen können tatsächlich zur Behandlung von Bindehautentzündungen verwendet werden. Geruch und Geschmack dienen seit langem als Hinweis auf potenzielle Anwendungen und Gefahren. Gewürze wie Knoblauch, Piment, Oregano, Nelken und Paprika scheinen, wie die Biologen Paul W. Sherman und Jennifer Billing dokumentiert haben, generell antibakterielle Eigenschaften zu haben. Bei den Matsigenka- und Yora-Gesellschaften im Amazonasgebiet glaubte man, dass bittere oder sogar giftige Pflanzen Krankheiten vertreiben, während aromatische Aufgüsse „übelriechende Geister und krankmachende Dämpfe in Schach halten“. Wie der Ethnobotaniker Bradley C. Bennett argumentiert hat, ist es sehr wahrscheinlich, dass Signaturen keine Möglichkeit sind Heilmittel zu finden, sondern eine Art Gedächtnisstütze für die Verbreitung von nützlichem Wissen, die geschaffen wurde, nachdem eine Pflanze als nützlich entdeckt worden war – ein Weg, um festzuhalten, was bereits durch Studium und Experimentieren gelernt worden war.
Traditionelles Wissen hat der modernen Pharmakologie oft als Leitfaden gedient. Das in der Landschaft weit verbreitete einjährige Immergrün (Catharanthus roseus) hatte in den Gesellschaften des Indischen Ozeans eine breite Palette an Verwendungsmöglichkeiten, bevor es im 20. Jahrhundert zu einem Wundermittel gegen Krebs wurde. Und wie Gabriela Soto Laveaga in Jungle Laboratories dokumentiert, beruhten die modernen Antibabypillen zum Teil auf dem ökologischen Wissen und der Arbeit Tausender mexikanischer Bauern, die die wilde Yamswurzel namens Barbasco ernteten, die einen Bestandteil von künstlichem Progesteron enthält. Die westliche Wissenschaft tat diese Erkenntnisse oft als abergläubischen Unsinn ab, bis dann doch ein wirksamer Inhaltsstoff extrahiert wurde.
Eine leichtgläubige Akzeptanz von traditionellem Wissen, das per Definition als gut gilt, ist allerdings auch problematisch. Natürlich beruhigt es zu glauben, dass „Nahrung Medizin seine könne“, dass die uterusähnliche Form einer Avocado auf die Fähigkeit hindeute, Geburtsfehler verhindern zu können oder die Ähnlichkeit einer Feige mit einem Hoden auf ihre Wirksamkeit zur Steigerung der Spermienmobilität hinweist (wie ein YouTuber mit mehr als einer Million Followern munter behauptet). Aber Pflanzen können sowohl nutzen als auch schaden, und die Signaturenlehre kann daher gefährlich sein. Um nur ein bekanntes Beispiel zu nennen: Die Blüten des Geburtskrauts haben Ähnlichkeit mit einer Gebärmutter und die Pflanze wurde verwendet, um sowohl die Menstruation als auch die Geburt auszulösen, aber der Wirkstoff Aristolochiasäure ist ein nachgewiesenes Gift, das zu tödlichem Nierenversagen führt.
Die Verfechter der Signaturenlehre in der Renaissance hatten auch einige schlechte Ideen. Theophrastus Bombastus von Hohenheim, besser bekannt als Paracelsus, war ein bekannter Alchemist und Physiognomiker. In seinem Werk Über die Natur der Dinge gab er eindeutige Urteile über den Charakter von Menschen auf der Grundlage ihrer Gesichtszüge ab: Eine flache Nase deutete beispielsweise auf einen „bösartigen, falschen, lüsternen, unehrlichen und unbeständigen Menschen“ hin. Giambattista della Porta präsentierte in seinem zwanzig Bände umfassenden Hauptwerk, das passenderweise den Titel Natürliche Magie trägt, eine schwindelerregende Vielfalt an Esoterik. Seine Anweisungen, wie man „einen guten Salat zieht“ – um die Wurzeln herum graben und Ochsenkot und Wasser dazugeben – waren einigermaßen vernünftig. Aber er glaubte auch, dass Wespen aus Pferdekadavern und Schlangen aus dem Haar einer menstruierenden Frau entstehen. Im Abschnitt über die „Verschönerung der Frauen“ riet er mit Artischockenwurzeln „den üblen Geruch der Achselhöhlen zu beseitigen“.
So verlockend Artischockenwurzeln in den Achselhöhlen auch sein mögen, empfehle ich die Rückkehr zur Signaturenlehre nicht. Aber ich glaube, wir können etwas von ihrer Intensität der Konzentration und der alten Annahme, dass die Welt voller verborgener Kräfte ist, wiedererlangen.
Wir können mit ihnen die Bedeutung und den Wert anderer Wesen entdecken, nicht zuletzt der Pflanzen, die überall um uns herum wachsen.Es ist absurd, wie wenig die meisten von uns über Pflanzen wissen. Ich trage Baumwolljeans, schreibe auf einem Blatt aus Kiefernholz und starre auf einen mit Holzfasern verstärkten Bildschirm, sitze auf einem Stuhl aus Ahorn an einem Eichentisch, genieße ein Frühstück aus Weizen, Brokkoli und Pfefferkörnern und atme Luft, deren Sauerstoffgehalt von Pflanzen abhängt. Eine aktuelle Biomassestudie schätzt, dass die Pflanzen der Erde zusammen etwa 450 Gigatonnen wiegen, das sind mehr als 80 Prozent der gesamten Biomasse. Der Mensch ist mit gerade einmal 0,06 Gigatonnen nur ein winziger Bruchteil davon. Und doch sind Pflanzen für viele kaum mehr als eine Kulisse oder Ressource. Dies bezeichnen Naturpädagogen als „Pflanzenblindheit“ oder „Ungleichheit im Pflanzenbewusstsein“: ein Nichtsehen, eine Gleichgültigkeit gegenüber ökologischen Beziehungen und biochemischen Kreisläufen und eine Ignoranz gegenüber Form, Wachstumsgewohnheiten, Koevolution, Fortpflanzung, Taktilität und Geschmack.
Und doch vergessen wir, ignorieren wir, verachten wir. Es gibt eine Szene in John Steinbecks Jenseits von Eden, in der Adam Trask die bedeutungslosen Angelegenheiten der Kinder beiläufig abtut, nur um von seinem chinesisch-amerikanischen Diener Lee zurechtgewiesen zu werden. „Glauben Sie, dass die Gedanken der Menschen ab einem bestimmten Alter plötzlich wichtig werden? Haben Sie jetzt schärfere Gefühle oder klarere Gedanken als mit zehn Jahren? Sehen Sie genauso gut, hören Sie genauso gut, schmecken Sie genauso lebendig?“ Es ist „einer der großen Irrtümer“, sagt Lee, „dass die Zeit einem Menschen viel mehr gibt als Jahre und Traurigkeit.“
Manchmal finden Erwachsene den Sinn für das Wunderbare wieder – oft, wie es scheint, über den Weg des Kummers. Solomon Northup, der 1841 in die Sklaverei entführt wurde, fand im Lustgarten der Plantage, der mit Granatäpfeln, Orangen und Jasminstöcken bepflanzt war, überraschenden Trost. Ein trauernder Henry David Thoreau stürzte sich in naturkundliche Beobachtungen, nachdem sein älterer Bruder John 1842 an Kiefersperre gestorben war. Frances Theodora Parsons' Ehemann starb in Europa plötzlich an einer Grippe und sie segelte im Januar 1891 nach Amerika zurück, „erschöpft an Körper und Geist“ und mit Morphium betäubt, „um das Vergessen zu sichern“. Ihre Familie empfahl ihr sich einem wohltätigen Zweck zu widmen. Stattdessen kehrte sie in die Wälder und Wiesen zurück, die sie schon als Kind geliebt hatte, und begann, „jede Blume in Reichweite zu studieren, wobei sie nicht nur ihre exquisite und komplizierte Struktur, sondern auch ihre bevorzugten Aufenthaltsorte, ihre Blüte- und Aussaatzeiten und sogar den Platz, den sie in den Köpfen von Dichtern und Malern eingenommen haben könnte, festhielt.“ Das Ergebnis war How to Know the Wildflowers (1893), einer der ersten naturkundlichen Führer, der innerhalb von fünf Tagen ausverkauft war und jahrzehntelang in Druck blieb. Ich habe ein Exemplar, das meine Urgroßmutter benutzte, um Wildblumen zu bestimmen. Rudyard Kipling schrieb an Parsons: „Ich verdanke den Wildblumen reines Vergnügen – ich habe zwei Exemplare, eines davon sehr schmutzig, um es im Gelände zu benutzen, und das andere, um es zu lesen, wenn ich nicht rausgehen kann.“
Die Liste läßt sich fortsetzen. Der beliebte britische Gärtner Monty Don, Moderator der BBC-Sendung Gardener’s World, gärtnert, weil er meint, dass dies „mein gestörtes Gehirn heilt“. In The God of the Garden (2021) beschreibt der Liedermacher und Kinderbuchautor Andrew Peterson, wie Bäume und Gärten ihn durch seine eigenen Kämpfe mit Depressionen führten. Jenny Odells Überraschungsbestseller How to Do Nothing (2019) und der Nachfolger Saving Time (2023) entstanden aus einem Gefühl der ständigen Online-Verzweiflung. Sie starrte mehr als ein Jahr lang mehrmals pro Woche auf einen kalifornischen Buchsbaumzweig. Der Journalist Alexis Madrigal gab das Schreiben über Technik auf und entdeckte den Geruch von Tomatenblättern wieder auf dem Weg zur Gründung des Oakland Garden Club, weil, wie er es ausdrückt, das Internet „jetzt meistens schlecht ist“.
Diese Art von Menschen nenne ich liebevoll „Persons Acting Strange around Plants“ oder PASAPs. Ein Künstler, der an der Küste Carolinas Sassafras skizziert. Ein Landvermesser, der Tinte aus Stachelbeeren herstellt. Ein Ökologe, der die Samen des Besenginsters im sezierten Darm einer Wachtel zählt. PASAPs sind für mich als Historiker, der versucht, die historische Rolle von Pflanzen zu verstehen, sehr nützlich, da die Pflanzen selbst nur wenige ihrer eigenen Aufzeichnungen hinterlassen haben.
In den letzten Jahren bin ich selbst ein PASAP geworden – oder besser gesagt, ich habe eine PASAP-Mitgliedschaft erneuert, die offenbar irgendwann in meinen frühen Zwanzigern erloschen ist. Ich spiele mit Wegerichblüten, pflücke Goldruten, klettere auf persische Seidenbäume und pflücke Dutzende von zarten Feigen, die absurderweise neben dem Vape-Shop wachsen. Pflanzen tun ihre pflanzlichen Dinge völlig losgelöst von mir, und doch sind sie gleichzeitig liebenswert zugänglich. Sie scheinen immun gegen Selbstzweifel, unbeeindruckt von Misserfolgen und unerschöpflich zielstrebig.
Ich bin davon überzeugt, dass wir PASAPs und andere Spinner in unserem Leben brauchen, solche, die das besitzen, was W. H. Auden einmal „den Blick auf das Objekt“ genannt hat. Dieser Blick ist Teil der normalen kognitiven Entwicklung eines Kindes. Beobachten Sie ein Baby, das auf einen Kaugummi fixiert ist, der auf dem Gehweg klebt, oder ein Kleinkind, das bei jedem Abendspaziergang Kieselsteine sammelt, oder ein Vorschulkind, das auf dem Spielplatz einen Ameisenhügel untersucht. Als Erwachsener ertappe ich mich dabei, dass ich die Welt als „eine entzauberte Ansammlung von besiegten und erschöpften Objekten“ erlebe, wie es die Philosophin Jane Bennett ausdrückt. Es ist leicht, an einer solchen Welt wissend zu verzweifeln, und schwer, sich an ihr zu erfreuen oder für sie zu sorgen. Und so habe ich wieder mit dem Sammeln begonnen, versuche aufmerksam zu sein und mich daran zu erinnern, dass mehr vor sich geht, als ich wahrnehme. Ich begann auch wieder den Pflanzen zu lauschen.