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    Albrecht Dürer, Adam and Eve, detail, 1507

    Die Unsterblichkeits­maschine

    von Michael Plato

    Mittwoch, 7. November 2018

    Verfügbare Sprachen: English

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    Von den vielen Ideologien und Ismen, die in den letzten Jahren aufgekommen sind, ist der Transhumanismus, der das Streben nach Unsterblichkeit durch Technologie propagiert, wohl einer der skurrilsten. Doch seine Verfechter meinen es todernst. Die Silicon-Valley Technologiemagnaten Peter Thiel, Larry Ellison, Sergey Brin, Larry Page und Bill Maris haben bereits Hunderte Millionen Dollar in Forschung gesteckt, die dem Ziel gewidmet ist, den Alterungsprozess zu verlangsamen oder sogar aufzuhalten. Und Zoltan Istvan, der Präsidentschaftskandidat der „Transhumanistischen Partei“, der bis vor Kurzem mit einem sargförmigen Wohnmobil mit der Aufschrift „Immortality Bus“ („Unsterblichkeitsbus“) die USA hin und her durchquerte, behauptet, dass der Tod selbst „bei ausreichender Finanzierung [in] acht bis zwölf Jahren“ beseitigt werden kann.

    Doch auch über das Silicon Valley hinaus greift der Transhumanismus um sich und hinein in den intellektuellen und geistlichen Bereich. Obwohl die etablierte Wissenschaft ihn immer noch größtenteils ablehnt, hat der Transhumanismus Unterstützung von unerwarteten Stellen gefunden, zum Beispiel am „Future of Humanity Institute“ („Institut für die Zukunft der Menschheit“) der Universität Oxford. Einflussreiche Persönlichkeiten der Bewegung, die hauptsächlich aus Technologieunternehmern und unabhängigen „Visionären“ besteht, halten Konferenzen ab, publizieren fleißig und finanzieren Forschung – und all das organisiert von einer Denkfabrik namens „Humanity Plus“ („Menschheit Plus“).

    Die Transhumanismus-Bewegung strebt danach, die Intelligenz, körperliche Stärke und fünf Sinne des Menschen durch technische Mittel zu verbessern. Transhumanisten interessieren sich außerdem häufig für die Idee der „technologischen Singularität“, einem hypothetischen Moment in der Entwicklung der Datenverarbeitungsleistung, in dem eine echte künstliche Intelligenz entsteht. Dies würde, so glauben die Anhänger dieser Idee, eine Explosion von technologischem Wachstum zünden, die zu unvorstellbaren, aber positiven Veränderungen in der menschlichen Gesellschaft führen würde. In bestimmten Versionen dieses Szenarios würden Mensch und Computer miteinander verschmelzen und die Menschheit als Ganzes auf eine neue Entwicklungsstufe gehoben, die über die Biologie hinausgeht.

    Vor allem streben Transhumanisten danach, das Leben zu verlängern und sogar den Tod ganz und gar zu eliminieren. Letztere Möglichkeit hat zum Entstehen einer der seltsamsten Modeerscheinungen des Transhumanismus geführt: Anlagen zur „Kryokonservierung“ (Kältekonservierung). Diese Firmen frieren – gegen Geld – die Leichname (oder Köpfe) von Menschen ein, die glauben, dass eines Tages eine technologische Wiederauferstehung möglich sein, eine Heilungsmöglichkeit für eine tödliche Krankheit entdeckt werden oder eine Möglichkeit gefunden wird, das eigene Bewusstsein in einen Computer oder sogar einen neuen Körper hochzuladen. Eben dieser Aspekt des Transhumanismus ist es, der die die engsten Verbindungen zu religiösem Glauben aufweist.

    Ist Transhumanismus grundsätzlich unvereinbar mit dem christlichen Glauben? Es gibt bereits „christliche Transhumanisten“, die ihre eigenen Vereine haben, komplett mit Homepage und Konferenzen. Der Begriff hat, wie sie anmerken, seine Wurzeln im christlichen Denken: Er stammt von Dante und taucht im Werk von Pierre Teilhard de Chardin auf. Der „Christian Transhumanist Association“ („Christliche transhumanistische Vereinigung“) zufolge wird „der bewusste Einsatz von Technologie, gepaart mit der Nachfolge Christi, uns dazu befähigen, menschlicher zu werden.“ Doch was, wenn das Ziel nun eindeutig darin besteht, mehr als menschlich zu werden? Von diesem Aspekt her hat der Transhumanismus eine besonders starke Attraktivität für die Mormonen. Die „Mormon Transhumanist Association“ („Mormonische transhumanistische Vereinigung“) wird zwar nicht offiziell von der mormonischen Kirche unterstützt, doch sie trifft sich regelmäßig in Salt Lake City und bemüht sich, Aspekte der mormonischen Theologie wie die Lehre, dass Menschen sich zu Göttern weiterentwickeln, mit transhumanistischen Zielen zu verbinden, insbesondere dem der selbsterlangten Unsterblichkeit.

    Albrecht Dürer, Adam and Eve, detail, 1507

    „Albrecht Dürer, Adam und Eva, Ausschnitt, 1507“ Image from WikiArt (public domain)

    Der Transhumanismus ist nicht ohne wortgewandte Kritiker. Rosi Braidotti, eine prominente europäische Philosophin aus dem linken Spektrum, tut den Transhumanismus als „Fleischesverachtung“ und „Fluchtfantasie aus der endlichen Körperlichkeit des in Fleisch gekleideten Selbst“ ab. Der neokonservative Politikwissenschaftler Francis Fukuyama nennt den Transhumanismus „die gefährlichste Idee der Welt“. In seinem Buch Das Ende des Menschen argumentiert er, dass alle technologischen Mittel der Selbstverbesserung, die der Transhumanismus vorschlägt, „einen furchtbaren moralischen Preis“ haben und zu einer beklemmenden, dystopischen Zukunft führen werden.

    Es erfordert einen nicht gerade kleinen Glaubensschritt anzunehmen, dass einige der angedachten Technologien überhaupt möglich sind. Wie die Journalistin Anna Wiener kürzlich in der Zeitschrift New Republic schrieb, könnte der Transhumanismus mehr auf Wunschdenken beruhen als auf realistischen Erwartungen für die technologische Entwicklung. Bezüglich des „Einfrierens“ von Menschen merkt sie an, bis heute gebe „die Wissenschaft keine Anhaltspunkte, dass eine Wiederbelebung je möglich sein wird. Der Traum, das Bewusstsein eines Menschen auf einen Computer hochzuladen – oder in einen neuen Körper –, bleibt genau das: ein Traum“, wie sie schreibt. In seinem Buch Unsterblich sein: Reise in die Zukunft des Menschen argumentiert Mark O’Connell, dass zwar nach und nach immer mehr Transhumanisten rund um die Welt auftauchten, doch die gesamte Idee sei immer noch sehr stark ein Kind der kalifornischen Kultur: Sie habe mehr Verbindungen zu den für diesen US-Bundesstaat typischen Selbstoptimierungsmoden und -verrücktheiten als zu wesentlichen wissenschaftlichen Entwicklungen.

    In den letzten Jahren haben eine Reihe von Science-Fiction-Filmen transhumanistische Ideen und Erwartungen untersucht. Johnny Depp spielte in Transcendence (2014) einen Wissenschaftler, dessen Bewusstsein in ein Computersystem hochgeladen wurde, während Ghost in the Shell (2017) mit Scarlett Johansson eine Welt zeichnete, in der menschliche Gehirne in überlegene Roboterkörper verpflanzt werden können. Der Film In Time – Deine Zeit läuft ab (2011) mit Justin Timberlake prognostizierte eine Zukunft, in der die Technologie es Menschen ermöglicht, jahrzehnte- oder sogar jahrhundertelang jung und schön zu bleiben. In Time weist aber auch auf einen anderen Aspekt dieses transhumanistischen Traums hin, der in der Realität in den Beschreibungen seiner Verfechter fehlt: nämlich, dass – falls eine solche Technologie möglich wird – sie wahrscheinlich nur den Superreichen zur Verfügung steht. Dies ist ein Argument, das auch Christine Emba 2016 in einem Artikel für die Washington Post aufwarf: Die Nutzen des Transhumanismus werden, wie sie warnt, „nur den Oberklassen zufallen“, und die „Ungleichheit wird sich über Faktor des reinen Wohlstands hinaus zementieren und unsere egalitären Ideale grundlegend herausfordern“.

    Dennoch beharren Verfechter des Transhumanismus darauf, dass dessen Technologien, worin auch immer sie bestehen mögen, lediglich Erweiterungen der unterstützenden Technologien wären, die wir bereits besitzen. Denn was sonst sind Brillen, Herzschrittmacher, Organtransplantationen und künstliche Extremitäten? Diese Technologien verbessern und verlängern sogar das Leben. Und während die Reichen wohl immer als Erste Zugriff auf sie haben werden, werden sie mit ihrer Weiterentwicklung ebenso der Mittel- und Unterklasse zugänglich, wie es auch bei anderen technischen Entwicklungen der Fall war.

    Obwohl das Ganze nach Selbstermächtigung der Milliardäre, New-Age-Schwärmerei und Science-Fiction-Fantasien riecht, thematisiert der Transhumanismus eine grundlegende Hoffnung, die auch Christen bejahen können: Der Tod ist ein Feind, der eines Tages besiegt und am Ende überwunden werden muss. Der Apostel Paulus schreibt: „Denn er muss herrschen, bis Gott ‚alle Feinde unter seine Füße gelegt hat‘. Der letzte Feind, der vernichtet wird, ist der Tod“ (1. Korinther 15,25-26, zitiert nach Luther 2017). Dass so viele atheistische Transhumanisten den Tod mit Feindseligkeit und einem Hunger nach Unsterblichkeit betrachten, sollte für Christen auf einer ganz einfachen Ebene als ermutigend sein.

    Schließlich glauben Christen doch, dass der Tod bereits durch den Tod und die körperliche Auferstehung Jesu Christi besiegt ist. Durch das, was Gott in Christus getan hat, sind Christen nie ohne Hoffnung auf ihre eigene zukünftige Auferstehung. Für viele Transhumanisten mag dieses Warten auf eine zukünftige Herrlichkeit unspektakulär erscheinen; doch ist es im Vergleich dazu nicht einer viel dürftigere Aussicht, verzweifelt zu hoffen und zu warten, aus dem Kälteschlaf geweckt zu werden?

    „In dem Versuch, wie Gott zu sein, lehnen wir unsere Abhängigkeit von Gott als unserem Schöpfer ab und entscheiden uns stattdessen dafür, so leben zu wollen, als seien wir unsere eigenen Schöpfer.“

    Dass Christen ihre höchste Hoffnung auf den endgültigen Sieg Christi über den Tod setzen bedeutet nicht, dass sie nicht gegen Dinge ankämpfen dürfen, die Leben und Glück im Hier und Jetzt bedrohen. Sie sollten Technologien begrüßen, die zu einem besseren Befinden des Menschen beitragen – jene Brillen, Herzschrittmacher, künstliche Gliedmaßen und Organtransplantationen –, solange diese Technologien zur Stärkung und Wiederherstellung beitragen. Selbst wenn diese Technologien zufällig unsere natürlichen Fähigkeiten verstärken (zum Beispiel, dass Menschen mit künstlichen Gliedmaßen Wettrennen gewinnen), sind sie immer noch im Einklang mit unserer menschlichen Natur; sie streben nicht an, etwas völlig anderes aus uns zu machen.

    Doch der Punkt, an dem der Transhumanismus stark vom Christentum abweicht, ist seine Ablehnung der Vorstellung, unsere menschlichen Körper seien so, wie sie sind, gut, weil sie von einem guten Gott erschaffen sind. Dass Christus selbst einen menschlichen Körper hat und eine menschliche Natur besitzt, bestätigt, dass der Mensch gut und vollständig ist. In diesem Punkt ähnelt der Transhumanismus eher der Gnosis vergangener Jahrhunderte, die den Körper als veränderbar oder sogar ausgesprochen abstoßend und austauschbar betrachtete. Auch zu anderen Bewegungen unserer Zeit besitzt der Transhumanismus Verbindungen, wie beispielsweise zum Transgenderismus, der den Gedanken ablehnt, dass uns unser Geschlecht von Gott gegeben ist und nicht frei von uns gewählt werden kann.

    Christen glauben, dass die Menschheit nach Gottes Ebenbild erschaffen wurde. Dieses Ebenbild, wenn es auch nicht körperlich zu verstehen ist, ist nicht autonom und selbstbestimmt, sondern gänzlich abhängig von dem Gott, den es widerspiegelt. Genau das meint Dietrich Bonhoeffer, wenn er zwischen dem Wunsch, als Ebenbild Gottes zu leben, einerseits und dem Erliegen vor der Versuchung der Schlange, „wie Gott zu sein“, andererseits unterscheidet. In dem Versuch, „wie Gott zu sein“, lehnen wir unsere Abhängigkeit von Gott als unserem Schöpfer ab und entscheiden uns stattdessen dafür, so leben zu wollen, als seien wir unsere eigenen Schöpfer.

    Für den Transhumanisten beruht die Überwindung der Begrenzungen des Menschseins auf den Werten von individueller Freiheit und dem Recht auf freie Entscheidung. Der Tod ist lediglich eine inakzeptable Begrenzung der menschlichen Freiheit unter vielen. Der Theologe Brent Waters stellt schonungslos fest, für den Transhumanisten „kann der Mensch erst wirklich frei sein, wenn die Sterblichkeit überwunden ist“. In seiner egozentrischen Suche nach grenzenloser Autonomie und Freiheit verspricht der Transhumanismus eine Unsterblichkeit, die eine groteske Nachahmung der gottgegebenen Unsterblichkeit ist. Sie reißt die christliche Verheißung auf das ewige Leben an sich. Unsterblichkeit wird zu einer Ware – einer Ware, die jeder Mensch für sich selbst anstrebt. Eine Vision dieser gottlosen Unsterblichkeit und ihrer Banalität und Leere findet sich in Jorge Luis Borges Kurzgeschichte „Der Unsterbliche“:

    Am Unsterblichsein ist nichts Bemerkenswertes; mit Ausnahme der Menschheit sind alle Geschöpfe unsterblich, denn sie wissen nichts vom Tod. Was göttlich, schrecklich und unverständlich ist, ist das Wissen um die eigene Unsterblichkeit.

    Es ist in der Tat eine schreckliche Aussicht, in alle Ewigkeit in unserem unerlösten Selbst gefangen zu sein. Immerhin gibt es für eine solche Ewigkeit ein Wort: Wir nennen es Hölle. Die bloße Verlängerung unseres Lebens ist nicht die Art Unsterblichkeit, nach der wir uns sehnen. Vielmehr ist die Hoffnung der Christen das ewige Leben infolge des Eintritts in Gottes Reich. Ja, wir erwarten eine reale, körperliche Auferstehung, doch es ist eine Auferstehung, die als unverdientes Geschenk aus der Hand eines liebenden Gottes kommt. Das ist eine Verheißung, deren Erfüllung keine Technologie auch nur vortäuschen kann.


    Deutsche Übersetzung von Doris Leisering

    Von MichaelPlato Michael Plato

    Michael Plato ist Professor für Geistesgeschichte und christliche Philosophie an der Colorado Christian University.

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