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    derelict buildings in Leipzig, Germany

    Warum ich mich entschieden habe, in Armut zu leben

    Wer Reichtum und Besitz ablehnt wie Franz von Assisi, dem gehört die ganze Welt.

    von Andreas Knapp

    Freitag, 20. Januar 2023

    Verfügbare Sprachen: español, English

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    Die uns anvertraute Welt ist ein Geschenk Gottes. Und weil alle Menschen Gottes Kinder sind, haben alle Menschen ein Recht auf die Güter, die diese Welt uns bietet. Sie ist so reich, dass niemand hungern oder bittere Not leiden müsste. Doch die Güter der Welt sind höchst ungleich verteilt. Und so gibt es ein brutales Gefälle zwischen den Super-Reichen und den Bettel-Armen. Wie aber kommt es zu einer derartigen Ungerechtigkeit?

    Wir Menschen haben natürliche Bedürfnisse: Nahrung, Kleidung, Wohnung. Seit es Menschen gibt, kommt es allerdings zu Konkurrenz und Konflikten um diese Grundlagen. Denn die lebensnotwendigen Güter sind je nach wirtschaftlicher Lage, Klima usw. knapp bemessen. Daraus ergibt sich die Notwendigkeit einer Vorratswirtschaft, oft verbunden mit übermäßiger Reservebildung und Gier. Man eignet sich mehr an, als man wirklich braucht. Es kommt schließlich durch ein bestimmtes Wirtschaftssystem dazu, dass Menschen immer stärker nach Konsum und Luxus streben.

    Verfallende Gebäude in Leipzig

    Leipzig Foto mit freundlicher Genehmigung von Tim Arai

    Eine große Rolle spielt dabei auch ein sozialpsychologischer Mechanismus: Menschen vergleichen sich immer mit anderen und begehren das, was auch der andere begehrt. Besitz wird zum Statussymbol und wer etwas gelten will, muss dies durch seinen Reichtum zu Schau stellen können. Und schließlich wohnen im Menschen tiefe Ängste: Das Leben ist vielfältig bedroht, etwa durch Krankheit, Krieg und Tod. Daher muss man sich absichern, insbesondere durch materiellen Besitz.

    Diese und andere Mechanismen sind Ursache für die großen wirtschaftliche Unterschiede zwischen und innerhalb von Gesellschaften, für die Ausbeutung des Menschen durch den Menschen, für großes Elend und oft genug für Krieg. Und da der Besitz eine derart große Bedeutung hat, wird er oft auch religiös gedeutet: Die Reichen sind von Gott gesegnet. Der Reichtum selbst bekommt eine göttliche Dimension. Man kann den Mammon anbeten und ihn wie einen Gott verehren. Das „Goldene Kalb“ wird zum Sinnbild für den Götzendienst.

    1. Die prophetische Kritik am Reichtum

    Die Bibel deutet diese Welt als Schöpfung, als Gabe Gottes für alle Menschen. Doch Gier und Neid zerstören den von Gott gewollten paradiesischen Zustand. Der Mensch wird dem Menschen zum Wolf. Weil Menschen nicht genug kriegen können, kommt es zu Ausbeutung, Raub und Krieg.

    Die Propheten des Alten Bundes klagen immer wieder die Vergötzung materieller Güter an. Vor allem aber werfen sie den Mächtigen vor, die Armen auszubeuten und um ihr Recht zu bringen: „Hört doch, ihr Herrscher und Richter aus dem Haus Israel! Ist es nicht eure Pflicht, das Recht zu kennen? Doch sie hassen das Gute und lieben das Böse.“ (vgl. Micha 3,1–2) Für die Propheten wird die Solidarität mit den Schwachen und das gerechte Verhalten gegenüber den Benachteiligten zum Prüfstein der wahren Gottesverehrung: „Ich hasse eure Feste und kann eure Feiern nicht riechen. … Dein Harfenspiel will ich nicht hören, sondern: Das Recht ströme wie Wasser und die Gerechtigkeit wie ein nie versiegender Bach.“ (vgl. Am 5,21–24). Somit verkündigen die Propheten einen Gott, der sich auf die Seite der Armen und Ausgebeuteten stellt.

    Graffiti an einem Wohnhaus

    Warschau, Polen Foto mit freundlicher Genehmigung von Quinn Norton

    Jesus von Nazaret stellt sich ganz in diese Linie. Weil er aus der Zuwendung Gottes lebt, braucht er keine Reichtümer, um jemand zu sein. Es genügt ihm, „der geliebte Sohn Gottes“ zu sein. Daher lebt er in einer großen Distanz zu allen Arten von Besitz. Und weil er die Liebe Gottes als tiefste Erfüllung erfährt, braucht er weder kleinlich zu rechnen noch ängstlich zu kalkulieren. Er verschenkt seine Zeit, seine Energie, sein Leben. Er ist freigiebig und lässt Menschen auf diese Weise die Großzügigkeit Gottes erfahren, der seine Sonne aufgehen lässt über Guten und Bösen. (Vgl. Mt 5,45)

    Jesu besondere Zuwendung gilt den Außenseitern und Ausgegrenzten, den Kranken und Armen. Umgekehrt warnt er immer wieder vor den Gefahren des Reichtums. „Weh euch, die ihr reich seid, denn ihr habt keinen Trost mehr zu erwarten.“ (Lk 6,24) Wer Jesus nachfolgen will, muss auf äußere Absicherungen und Besitz verzichten. Er muss sein ganzes Vertrauen auf Gott setzen, der für ihn sorgen wird. Und sein Herz nicht an Äußeres hängen, sondern Gott allein soll sein Reichtum sein.

    Wer in diese Lebensschule eintritt, gewinnt daher Freiheit, Besitztümer loslassen zu können. Wer auf Gott schaut und dessen Uneigennützigkeit und Weite nachahmt, entkommt der Falle, sich mit anderen zu messen und ihnen zum Rivalen zu werden. Wer Jesu absichtslose Freundschaft annimmt und erwidert, kann sich dem Nächsten uneigennützig zuwenden und an einer Kultur der Menschlichkeit und Gerechtigkeit mitbauen.

    2. Armut im frühen Christentum

    Durch das Bekenntnis zu Jesus als dem Christus, dem Sohn Gottes, öffnete sich den ersten Christen/innen der Blick auf die Vorliebe Gottes für die Armen. Gott hat in Jesus von Nazaret ein menschliches Schicksal gewählt, und zwar das Leben eines Menschen, der aus einem verachteten Dorf stammt: „Was kann aus Nazaret schon Gutes kommen?“ (Joh 1,46) Gott kam nicht in einem vornehmen Haus oder als Mitglied der Priesterklasse zur Welt, sondern wurde in eine einfache Handwerkerfamilie hineingeboren. Darin kommt Gottes Option zum Ausdruck: Die menschlichen Hierarchien, in denen Geld und Macht zählt, werden aufgehoben. Und gerade diejenigen, die nach menschlichen Maßstäben nicht viel gelten, dürfen ihre Würde als Kinder Gottes erfahren.

    Paulus staunt immer wieder über diesen Weg des Abstiegs Christi: „Er war Gott gleich, hielt aber nicht daran fest, wie Gott zu sein, sondern er entäußerte sich und wurde wie ein Sklave.“ (Phil 2,6f) „Denn ihr wisst, was Jesus Christus, unser Herr, in seiner Liebe getan hat: Er, der reich war, wurde euretwegen arm, um euch durch seine Armut reich zu machen.“ (2 Kor 8,9) Wenn Gott den Menschen durch Christus also so beschenkt hat, dann gelten alle Reichtümer dieser Welt nichts mehr. Weltliche Güter und Ehren sind wie „Unrat“ (Phil 3,8). Umgekehrt fordert der Weg Christi dazu heraus, sich gerade für die Armen und Schwachen einzusetzen und ein gerechteres Miteinander aufzubauen.

    Die ersten christlichen Gemeinden entschieden sich daher für eine neue Lebensform, die ohne Privatbesitz funktionierte. „Alle, die gläubig geworden waren, bildeten eine Gemeinschaft und hatten alles gemeinsam. Sie verkauften Hab und Gut und gaben davon allen, jeden so viel, wie er nötig hatte.“ (Apg 2,44f) Nicht der Besitz zählt, sondern die geschwisterliche Zuwendung und Gemeinschaft.

    In dieser Linie entstanden die ersten Mönchsgemeinschaften. Von Antonius († 356) wird überliefert, dass er als Sohn wohlhabender Eltern im Gottesdienst von einem Wort aus dem Evangelium tief betroffen war: „Wenn du vollkommen sein willst, geh, verkauf deinen Besitz und gib ihn den Armen; und du wirst einen Schatz im Himmel haben; und komm, folge mir nach!“ (Mt 19,21) Nachdem er seinen Besitz verschenkt hatte, zog er sich in die Einsamkeit zurück, um dort genügsam zu leben. Schnell schlossen sich ihm Schüler an und die Lebensform des Mönchtums sprach in Ägypten, Palästina und Syrien ungezählte Männer und Frauen an. Diese große Bewegung hatte sicherlich mehrere Hintergründe. Zum einen gab es berühmte Wüstenväter und -mütter, die durch ihr Vorbild viele Menschen anzogen. Zum anderen war die Mönchsbewegung auch eine Reformbewegung, die sich am Evangelium orientierte – durchaus im Protest gegen eine inzwischen reich und mächtig gewordenen Kirche.

    3. Immer wieder: Der Ruf zur Armut!

    Auch in der kirchlichen Hierarchie verstummte der Ruf zur Armut nicht. Johannes Chrysostomos, Patriarch in der Kaiserstadt Konstantinopel, wurde nicht müde, gegen den Prunk und Luxus am Kaiserhof zu predigen. Er trat als Anwalt der Armen auf und redete den Reichen und Mächtigen ins Gewissen. Nach seiner Auffassung war die Gütergemeinschaft, wie sie nach dem Zeugnis der Apostelgeschichte bei den ersten Christen gepflegt wurde, der ideale Umgang mit dem Besitz. Wie auch andere Kirchenväter kritisierte er den Privatbesitz, der eine Beraubung anderer darstellt, wenn man mehr sein Eigen nennt, als man wirklich braucht: „Wie wäre es denkbar, dass der Reiche ein guter Mensch ist? Das ist unmöglich. Er kann nur gut sein, wenn er seinen Reichtum mit anderen teilt.“ Nach Chrysostomos ist derjenige wahrhaftig reich, der seinen Besitz den Armen übergibt.

    Als im Hochmittelalter die Kirche auf einem Höhepunkt von Macht und Reichtum angelangt war, kam es zu Armutsbewegungen, die sich auf die Botschaft des Evangeliums beriefen. Am Ursprung einer dieser Bewegungen stand Franz von Assisi (1181–1226). Franziskus hatte in seiner eigenen Familie schmerzlich spüren müssen, dass das Geld zur einer Art Droge werden kann, die die Seele süchtig macht und zerstört. Er überwarf sich mit seinem Vater, einem reichen Kaufmann, der ihn vor Gericht verklagte, weil er Geld für eine Kirche gestiftet hatte.

    Weil sich kein Mensch selbst erschaffen hat, sollten wir das Leben und diese Welt als eine Gabe Gottes ansehen, die immer Geschenk bleibt und nicht in Besitz umgewandelt werden soll, auf den man einen Anspruch hätte.

    Franziskus ging nun seinen eigenen Weg und warnte nun vor dem Reichtum, vor dem Kleben am Geld, vor der Vergötzung des Habens. Besitz kann besessen machen. Franz verabscheute es, Geldmünzen anzufassen, selbst wenn er sie auf der Straße fand. Wie Jesus predigte er eine Armut, die frei macht. Dabei romantisierte er nicht die materielle Not, unter der Menschen oft brutal zu leiden haben. Die Armut, die Franziskus leben wollte, hatte auch nichts mit einer zwanghaften und selbstquälerischen Askese zu tun. Vielmehr entdeckte Franziskus in einer freiwilligen, fast spielerischen Armut eine Freiheit, die ihm neue Lebensräume und Beziehungen eröffnete. Der anspruchslose Lebensstil kann die Geschwisterlichkeit untereinander fördern: Alle Menschen sollen sich als Brüder und Schwestern verstehen und miteinander teilen lernen.

    Franz von Assisi entschied sich nicht für ein einfaches und anspruchsloses und Leben, um damit einer asketischen Lebensform zu huldigen. Vielmehr konnte er in der bewusst gewählten Armut einen dem Evangelium gemäßen Sinn entdecken: Sie wird zu einem Weg, um sich der Lebensform Jesu anzugleichen und sich mit den Randexistenzen der damaligen Gesellschaft zu solidarisieren.

    Zugleich eröffnete die Bedürfnislosigkeit eine große Freiheit und eine neue Form von Gemeinschaft mit Gleichgesinnten. Daher atmete dieser Lebensstil etwas Fröhliches, Heiteres und Leichtes. Fast in der Art eines Liebesverhältnisses wurde „Frau Armut“ für Franziskus zur geliebten Braut, der er sich verlobte. Wer sich ihm anschloss, musste auf jeglichen Besitz radikal verzichten. Selbst die alltäglichen Dinge wie etwa die Kleider galten nur als Leihgaben. Durch die radikale Orientierung am Evangelium entstanden in der franziskanische Bewegung viele Gemeinschaften, die sich um eine brüderliche und gerechtere Lebensform bemühten.

    4. Das Ordensgelübde der Armut

    Die Armut als Ordensgelübde wird in den Anfängen des christlichen Mönchtums nicht primär als asketischer Akt betrachtet, sondern aus dem Zusammenleben der Schwestern und Brüder begründet. Sie ist Konsequenz der Geschwisterlichkeit. Denn im Gemeinschaftsleben werden die gesellschaftlichen sozialen Rollen aufgehoben, die ja meistens auch an den Besitz gebunden sind. Es gibt also nicht Adelige, Bürgerliche, Sklaven usw., sondern alle sind „Schwestern“ und „Brüder“. Diese Selbstbezeichnung will zum Ausdruck bringen, dass man eine familienähnliche Struktur leben will, die geprägt ist von gegenseitiger Liebe und Verantwortung. So wird durch das Gelübde der „Armut“ dem Konkurrenzdenken im Blick auf das Materielle die Basis entzogen.

    Das Gelübde der Armut zielt nicht darauf, das Elend zu suchen oder die materiellen Güter zu verachten. Kein Gut an sich ist verachtenswert. Die Armut will zunächst eine Grundhaltung zum Ausdruck bringen: Kein Mensch hat sich selbst erschaffen. Das Leben und diese Welt ist eine Gabe Gottes, ein Geschenk. Und es ist ein bleibendes Geschenk, das nicht in Besitz umgewandelt werden soll, auf den man einen Anspruch hätte.

    Lewis Hyde hat in seinem Buch Das Geschenk zwei Wirtschaftsformen unterschieden: In der Bedarfswirtschaft werden materielle Güter unter dem Aspekt des Eigentums gesehen. Die Wirtschaftsaktivität richtet sich auf Erwerb aus. Das Ziel ist es, so viele Wirtschaftsgüter wie möglich aus dem Verkehr zu ziehen und in Privatbesitz zu verwandeln. Und da materielle Güter nur in begrenztem Maß vorhanden sind, besitzt die Person, die mehr davon hat, auch mehr Ansehen und Macht.

    In einem solchen System muss man immer mehr wollen, als man eigentlich braucht. Man häuft Besitz an für mögliche zukünftige Bedürfnisse und stellt seinen Wohlstand zur Schau. Die Tugenden einer solchen Bedarfswirtschaft sind Gier, Neid, Anhäufung von Gütern, Prestige und schließlich Konfliktbereitschaft, um den Besitz zu verteidigen.

    Eine leere Straße mit Graffiti auf Backsteinmauern

    London, Großbritannien Foto mit freundlicher Genehmigung von Mark Kidsley

    Ganz anders geprägt ist die sogenannte Wirtschaftsform der Geschenkwirtschaft. Materielle Güter werden vor allem als etwas gesehen, was uns anvertraut wurde, von Gott, der Natur, der Gemeinschaft – und werden deshalb an andere weitergegeben. Die wirtschaftliche Aktivität besteht vor allem darin, den Güterkreislauf aufrecht zu erhalten, durch eigene Arbeit zum Wohl der Gemeinschaft beizutragen, seine Talente zu nutzen und die materiellen Güter mit anderen zu teilen. Besitz misst sich am Bedarf des anderen und niemand besitzt das, was alle zum Leben brauchen wie zum Beispiel Land, Wasser oder Nahrung. Zur Schau gestellter Konsum gilt als vulgär. Als Tugenden in einem solchen System gelten Freigebigkeit, Teilen, Einfachheit und Mitgefühl. Die Ordensregel der Armut will eine Konkretisierung der Geschenkwirtschaft sein.

    Im Ursprung steht der Glaube an Gott, von dem uns alles geschenkt wird. Und diese Gaben sollen wir Menschen nicht als Privatbesitz an uns reißen, sondern sie sollen weiterfließen und allen zugute kommen.

    Schließlich will der Verzicht auf Privatbesitz im Ordensleben ein prophetisches Zeichen sein für eine Welt, in der der Besitz vergötzt wird. Die freiwillige Armut ist ein Protest gegen die Diktatur des Habens und Besitzens. Zugleich schließt die Lebensform der Armut ein, sich gerade mit denjenigen zu solidarisieren, die gezwungenermaßen in einer unmenschlichen Armut leben müssen: Wer das Gelübde abgelegt hat, stellt sich an die Seite der unfreiwillig Armen, um sich gemeinsam mit ihnen für eine solidarische und gerechtere Welt einzusetzen.

    Ich habe einige Jahre in Bolivien gelebt und war dort mit einem deutschen Priester befreundet, der auch ausgebildeter Gärtner war und viele Menschen etwa im Anbau von Gemüse unterrichtet hat. Ich wollte im Garten unserer Gemeinschaft ein Kräuterbeet anlegen und bat meinen Bekannten, mir einige Setzlinge zu bringen. Ich war nicht wenig erstaunt als er auf dem Pickup neben Kräutern eine ganze Landung Sand und Kies mitbrachte. Auf meine Nachfrage erklärte er mir: „Ihr habt in eurem Garten einen sehr guten Boden. Doch Kräuter entfalten ihr Aroma am besten auf mageren Böden. Du musst also in den guten Boden Sand und Steine mischen.“ Und dann fügte er hinzu: „Das ist wie im Ordensleben. Auf einem fetten Boden kann sich das Charisma der Orden nicht entfalten. Doch auf einem armen und mageren Boden, dort blüht das Ordensleben.“


    Verwandte Lektüre

    Aus der Lebensregel der „Kleinen Brüder vom Evangelium“

    Christus schenkt uns einen Schatz, der unsere Herzen erfüllt. Er treibt uns, alles zu verlassen und arm in unserer geistigen Haltung wie auch an materiellen Gütern zu werden.

    Wir wollen die Armut mit unserem ganzen Herzen umarmen. Reichtümer sind nicht nur ein sperriges Gepäck, sondern eine Gefahr. Sie sind nämlich nicht mit der Liebe zum Nächsten vereinbar, denn das, was man für sich behält, teilt man nicht mit anderen.

    Wir wollen von Herzen arm werden, frei werden gegenüber jedem Wunsch nach Besitz, Geld und anderen materiellen Gütern. Wir teilen die Arbeitsbedingungen der Armen. Dies trägt dazu bei, dass wir uns ihre Sehnsüchte und gerechten Ansprüche zu eigen machen.


    Besitzer und Erben

    Ernesto Cardenal

    Wir alle besitzen die ganze Natur, den Sternenhimmel und die Erde mitsamt allen ihren Landschaften. Sobald wir aber unser Besitzgefühl auf ein paar Hektar Land beschränken, gehört uns von alledem nichts mehr. Nur wenn wir arm sind, können wir die Welt unser Eigen nennen, wie die Vögel den Himmel ihr Eigen nennen und der heilige Franz von Assisi alle irdischen Dinge. Darum nannte Franz die Armut einen großen Schatz – und er nannte es einen großen Luxus, an einem schönen großen Stein zu essen, neben einer frischen Quelle unter dem blauen Himmel, während die armen Reichen nur einen Speisesaal mit sehr reduzierten Ausmaßen hätten.

    Gott ist der Herr der ganzen Welt, und wir als seine Kinder sind auch Eigentümer des Reichtums der ganzen Welt. Wir sind von unermesslichem Reichtum umgeben und brauchen nur die Hand auszustrecken, um von allem zu nehmen. Eine Handvoll Wasser, das mir über die Finger rinnt, ist nicht weniger wertvoll als eine Handvoll Diamanten.

    Wer aber ein Stück Land kauft und es einzäunt, nimmt sich selbst die ganze übrige Natur, besitzt nichts mehr von allem anderen. …

    Christliche Armut heißt also nicht, wenig besitzen, sondern überhaupt nichts besitzen, um alles sein Eigen nennen zu können. Der Mönch beschränkt sich nicht auf den legalen Besitz einiger weniger Dinge; ihm gehören Luft und Sonne, Erde, Himmel und Meer. Nur ohne Gier, nur losgelöst von allem, können wir alles besitzen.

    Ernesto Cardenal, Das Buch von der Liebe (Peter Hammer Verlag, 1991).

    Von AndreasKnapp Andreas Knapp

    Der Dichter, Priester und bekannte Autor Andreas Knapp verließ seine sichere Stellung als Leiter des Freiburger Priesterseminars, um als Mitglied der Kleinen Brüder vom Evangelium unter den Armen zu leben und zu arbeiten.

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