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    Himmel oder Hölle

    Gedanken zu Michelangelos „Jüngstes Gericht“.

    von Kardinal Christoph Schönborn

    Dienstag, 14. Oktober 2025
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    Michelangelos gewaltiges „Jüngstes Gericht“ in der Sixtinischen Kapelle im Vatikan gehört zweifellos zu den berühmtesten Gemälden der Kunstgeschichte. Während der beiden Konklave, an denen ich teilnehmen konnte (2005 und 2013), hatte ich Zeit, es lange zu betrachten. Da ist Christus, der Weltenrichter, im Zentrum. Zu seiner Rechten steigen die Geretteten zum Himmel auf; zu seiner Linken werden die Verdammten von Teufeln in die Hölle hinabgezogen. Zahllose Besucher der Vatikanischen Museen stehen Tag für Tag staunend vor diesem Meisterwerk. Glauben sie, dass das einmal wirklich so sein wird, Himmel und Hölle?

    Glaube ich es? Nicht theoretisch, sondern ganz nüchtern: einmal wird es sich auch für dich entscheiden, ewiges Glück oder ewige Verdammnis? Hat Michelangelo selber geglaubt, was er dargestellt hat? Unter den zur Hölle Verdammten hat er auch Kardinäle seiner Zeit porträtiert. War das eine Bosheit des Künstlers gegenüber den Mächtigen der Kirche?

    1500 Jahre früher stellt jemand Jesus die Frage: „Herr, sind es nur wenige, die gerettet werden?“ Welche Antwort erwartet er sich? Allgemeine Ausführungen Jesu über die Proportionen zwischen Himmel und Hölle? Augustinus, der große Kirchenlehrer, scheint ernsthaft gemeint zu haben, dass tatsächlich nur wenige gerettet werden, dass folglich die große Masse der Menschen auf ewig verloren geht. Seine Sicht lag lange wie eine düstere Wolke über der Christenheit. Sie scheint sich in unseren Tagen gelichtet zu haben. Heute dürfte weithin die Zuversicht herrschen, die die Rheinländer besingen: „Wir kommen alle, alle in den Himmel, weil wir so brav sind.“

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    Das Fresko Das Jüngste Gericht in der Sixtinische Kapelle von Michelangelo, 16. Jahrhundert. Wikimedia Commons, gemeinfrei.

    Jesu Worte sind nicht zum Spaßen geeignet. Er gibt keine allgemeine Antwort, keine Statistik von Himmel und Hölle. Er spricht alle persönlich an: „Bemüht euch mit allen Kräften, durch die enge Tür zu gelangen.“ Herb und schmerzlich ist seine Vorhersage: Vielen wird es nicht gelingen! Damit stehen wir alle, falls wir uns auf den Gedanken überhaupt einlassen, vor der Frage: Wird es mir gelingen? Und: Was muss ich tun, damit ich es durch die enge Tür schaffe?

    Ich muss zugeben, dass ich mich schwertue, eine ewige Verdammnis anzunehmen. Trotzdem nehme ich die klaren Worte Jesu ernst, die von Himmel und Hölle sprechen. Das ist keine Erfindung von Michelangelo. Ein Gedanke hilft mir weiter: Auf Erden gibt es Gerichte. Sie können schwere Verbrechen mit bis zu lebenslanger Haft bestrafen. Mein Handeln hat Folgen, gute und schlechte. Betrug rächt sich, ebenso Mord, mit größeren oder kleineren Strafen. Wenn ich an ein ewiges Leben glaube, warum sollte mein Tun und Lassen nur in diesem Leben Folgen haben? Jesus spricht von einem endgültigen Zuschließen der Türe. Es gibt ein „zu spät“, nicht nur, wenn wir einen Zug versäumen, sondern auch wenn wir sterben ohne vorher halbwegs gutzumachen, was wir verfehlt haben. Es kann einen lange quälen, wenn jemand stirbt, ehe wir ihn um Verzeihung gebeten haben. Wir haben es endgültig versäumt.

    Jesus zeigt klar und deutlich, dass sich unsere Ewigkeit hier und jetzt entscheidet. Wenn es so sehr auf uns selber ankommt, werden dann doch nur ganz wenige gerettet? Kommt es darauf an, ob wir einander hier auf Erden Himmel oder Hölle bereiten? Einmal haben die Jünger Jesus ganz erschrocken gefragt: „Wer kann dann noch gerettet werden?“ Die Antwort Jesu ist unsere ganze Hoffnung: „Für Menschen ist das unmöglich, für Gott aber ist alles möglich.“

    Von CardinalChristophSchonborn Kardinal Christoph Schönborn

    Kardinal Christoph Schönborn ist Ordinarius für die Katholiken der katholischen Ostkirchen in Österreich und war von 1995 bis 2025 Erzbischof von Wien.

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