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    Wie stehen wir zur Bergpredigt Jesu?

    von Jürgen Moltmann

    Dienstag, 3. Mai 2022
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    Aus der Einführung in Eberhard Arnolds „Salz und Licht: Über die Bergpredigt

    Diese Frage am Anfang des Buches stellt sich jeder Generation aufs Neue, und jede Generation muss ihre eigene Antwort auf den Ruf Jesu geben. Aber es gibt eine tiefe Gemeinschaft durch die Zeiten hindurch, die Gemeinschaft der Menschen, die sich der Kraft und dem Anspruch der Bergpredigt vorbehaltlos stellen und zur unbedingten Nachfolge bereit sind. In dieser Gemeinschaft der Jünger durch die Jahrhunderte hindurch sprechen zu uns heute die Waldenser und die Hussiten, die Täufer und die Hutterischen Brüder, die Mennoniten und die Quäker und auch Eberhard Arnold von der Bruderhof-Gemeinschaft, die von 1920 bis zur gewaltsamen Schließung durch die Gestapo 1937 in der Rhön bestand. Auf dem Weg Jesu fallen die Zeitabstände dahin: Die Brüder und Schwestern, die vor uns waren, sprechen zu uns als wären sie gegenwärtig – und sie sind es auch, wenn wir ihre Stimmen hören und aus ihren Stimmen die Stimme Jesu vernehmen.

    Als ich diese Bergpredigtauslegungen von Eberhard Arnold las und mir das gemeinsame Leben der kleinen Gemeinschaft auf dem einsamen Bruderhof in der Rhön vorstellte, wurde mir plötzlich deutlich, was zusammengehört und niemals getrenntwerden darf: die Bergpredigt und die bedingungslose Nachfolge, die Nachfolge und das gemeinsame Leben der Jünger, die geschwisterliche Gemeinschaft und die reale Erwartung des Reiches Gottes, das auf diese Erde kommt.

    Die Bergpredigt ist kein neues Gesetz der Moral, sondern Zeugnis und Mitteilung der Kraft des kommenden Reiches und des wahren Lebens.

    Eberhard Arnold zeigt uns, dass die Bergpredigt kein neues Gesetz der Moral ist, sondern Zeugnis und Mitteilung der Kraft des kommenden Reiches und des wahren Lebens. Vor den neuen Geboten stehen die Seligpreisungen. Jesus erfüllt unser Herz mit den Kräften des Geistes Gottes, bevor er uns unter das Gebot der Nachfolge stellt. Darum zeigt Eberhard Arnold uns auch, dass die konsequente Nachfolge kein Ideal und auch keine Qual, sondern eine Selbstverständlichkeit in der Gemeinschaft Jesu ist. In der Gemeinschaft Jesu wird das Leben klar, einfach, entschieden und unbedingt. Die vielen Zweifel und Kompromisse, die Halbwahrheiten und Halbherzigkeiten verschwinden. So wie man Gott nur mit ganzem Herzen und allen Kräften lieben kann, so kann man auch Jesus nur ganz und ungeteilt nachfolgen, oder man folgt ihm nicht nach.

    Eberhard Arnold zeigt uns weiter, dass Nachfolge und gemeinsames Leben unzertrennlich zusammengehören. Aus gemeinsamem Leben schöpfen wir die Kräfte für die Nachfolge und den damit verbundenen Widerstand. In der Nachfolge finden wir die Brüder und Schwestern des gemeinsamen Lebens. Die Bruderhof-Gemeinschaft hat das bewiesen. Ich frage mich, was die Volkskirche, in der wir noch versuchen, das christliche Leben zu führen, von solchen konsequenten christlichen Gemeinschaften lernen kann.

    Zuerst einmal müssen die alten Vorurteile und Ketzerurteile beseitigt werden: Die geschwisterlichen Gemeinschaften der Mennoniten und der Hutterer waren und sind weder Schwärmer noch Sektierer, sondern echte christliche Gemeinschaften. Gewiss stellen sie das Leben der Christen in den Volkskirchen kritisch in Frage. Die Antwort kann aber nur darin bestehen, dass man anfängt, von ihnen zu lernen. Darum habe ich mich gefragt: Wie können aus unseren Kirchengemeinden Gemeinschaften des Glaubens und des Lebens werden? Ich glaube, dass dies der Weg in die Zukunft der Evangelischen Kirche ist, und ich sehe, wie immer mehr Menschen in diese Richtung gehen.

    Wir suchen nicht die weltverachtende, selbstgerechte christliche Sekte, sondern die offene Gemeinde des kommenden Reiches Gottes. Sie ist offen und gastfrei – wie der unvergessliche Bruderhof in der Rhön – für jedermann. Sie ist offen für die Armen, Behinderten und Ausgestoßenen, die in ihr Heimat und Lebenshoffnung finden, weil sie in ihr Jesus finden.

    Eberhard Arnold war in seiner Hoffnung ebenso irdisch, leiblich und ganzheitlich wie Christoph Blumhardt.

    Endlich hat Eberhard Arnold immer mehr den Realismus der christlichen Hoffnung betont: Christen hoffen nicht auf das Heil ihrer Seele in einem Jenseits, sie hoffen, was sie nach Jesu Willen auch beten: Dein Reich komme! Arnold hat dieses kommende Reich gern den Zukunftsstaat Gottes genannt. Wenn ich um das Kommen des Reiches bete, dann kann ich diese Erde nicht der kriegerischen und der atomaren Vernichtung und denen, die sich von solcher Drohung Sicherheit versprechen, preisgeben. Aus dem Gebet um das Kommen des Reiches auf diese Erde folgt darum der entschlossene Widerstand gegen die Vernichtung der Erde. Eberhard Arnold war in seiner Hoffnung ebenso irdisch, leiblich und ganzheitlich wie Christoph Blumhardt.

    Er hat den Bruderhof einmal einen “Samen des Reiches Gottes” genannt. Auch dieses Samenkorn ist “erstorben”, wie es bei Johannes und Paulus von den Saatkörnern heißt, die in die Erde eingehen. Doch wächst daraus Hoffnung. Die Brüderhöfe, die geschwisterlichen Gemeinschaften und die Basisgemeinden sind Lichter der Hoffnung in einer Zeit, in der es gelegentlich ziemlich finster aussieht. Mögen diese Lichter der Hoffnung von den einen nicht länger “unter den Scheffel gestellt” und von den anderen zunehmend mehr beachtet werden.

    Jürgen Moltmann, Tübingen

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