Letzten sommer fuhr ich mit meinem Sohn und einigen seiner Cousins zum Schwimmen an einen See. Die Jungs übten Sprünge vom Steg. Nach einer Stunde wurde ihr Wagemut so groß, dass ich sie zurück pfiff. Wieder bei unserem Liegeplatz angekommen, bemerkte mein Neffe, den ich Tristan nennen werde, dass er sein Smartphone vermisste, welches er in eine wasserdichte Hülle gesteckt hatte. Dieser Verlust, für niemanden erfreulich, war für Tristan besonders schlimm: Das Gerät ist Teil des Kontrollsystems für seinen Typ-1-Diabetes, eine Krankheit, bei der die Bauchspeicheldrüse kein Insulin produziert. Bis in die 1920er Jahre, als Wissenschafter entdeckten, wie man Insulin aus Hunden gewann, war Typ-1-Diabetes tödlich.

Auch in den Jahrzehnten danach bedeutete die Diagnose ein reglementiertes Leben mit täglichen Blutzuckertests, Insulininjektionen und einer strengen Diät. Trotz alledem war die Lebenserwartung drastisch verkürzt. Das Risiko, Gliedmaßen zu verlieren und Herz- und Nierenversagen zu erleiden, war hoch.

Leonard Ulian, Technological Mandala 83, Elektronikbauteile, Kupferdraht und Lautsprecher auf Papier, 2015. Alle Grafiken von Leonardo Ulian. Verwendet mit Genehmigung, 

Heute kann Tristan dank moderner Technologie so leben wie jeder andere energie-geladene Zwölfjährige. Ab 1978 entwickelten Wissenschafter verbesserte Formen von Insulin (synthetisch, keine Hunde erforderlich). 1999 begannen Medizintechnikunternehmen mit der Herstellung von Systemen zur kontinuierlichen Glukoseüberwachung (CGM), die den Blutzucker mithilfe einer Sonde messen können, die unter der Haut eingesetzt wird. Im Jahr 2017 wurden tragbare CGMs allgemein verfügbar. Sie liefern Blutzucker-Messwerte in Echtzeit. Heutige CGMs kommunizieren über Bluetooth mit einer Pumpe, die mittels einer Kanüle genaue Mengen an Insulin abgibt. Ein Mobiltelefon steuert das System und liefert die Daten an den Benutzer. Dieses Mehrkomponentensystem wird manchmal als „künstliche Bauchspeicheldrüse“ bezeichnet, weil es die Funktion des Organs nachahmt.

Selbstverständlich ist es nicht dasselbe wie eine natürliche Bauchspeicheldrüse – die Technologie ist fehlerhaft und der menschliche Körper ist variabel, so dass Menschen mit Typ-1-Diabetes immer noch um einen gesunden Blutzuckerspiegel kämpfen, im Wissen, dass hohe Werte ungesund sind und niedrige lebensbedrohlich sein können. Jedes verzehrte Kohlenhydrat muss manuell eingegeben werden und sowohl Sensor als auch Pumpe müssen alle paar Tage ausgetauscht werden. Die Betroffenen sind also nicht nur lebenslang vom Insulin abhängig, sondern auch von den Herstellern des Handys, der Pumpe, des CGM und verschiedener anderer Verbrauchsmaterialien. Für jemanden mit Typ-1-Diabetes verspricht diese Technologie dennoch die Chance auf ein weitgehend befreites, wenn auch unvollkommenes Leben.

Zumindest bis ein Teil davon auf den Grund eines Sees sinkt. Eine halbe Stunde lang tauchten wir, um nach dem Ding zu suchen, aber das Wasser war zu tief und zu trüb. Es blieb uns nichts anderes übrig, als nach Hause zu fahren und seinen Eltern den Verlust zu beichten. Diesmal war das Glück auf unserer Seite: Sie hatten noch das alte Telefon. Die „künstliche Bauchspeicheldrüse“ funktionierte bald wieder und wir feierten dies mit süßem Eis.

Dies ist eine positive Geschichte über Technologie, die das Leben eines Kindes verändert. Ein künstliches System, das mobile Software und automatisierte Hardware kombiniert, in einen menschlichen Körper eingepflanzt, verhilft ihm auf eine Art und Weise zum Gedeihen, wie es die Natur nicht täte. Die Tatsache, dass es eine solche Technologie überhaupt gibt, ist ein Zeugnis für die wahren Errungenschaften des Silicon Valley und seiner „kalifornischen Ideologie“, die ungebändigte Innovation und unternehmerischen Kapitalismus in einer Mission zur Veränderung der Welt vereint.

Leonardo Ulian, Technological Mandala 83, Elektronikbauteile, Kupferdraht und Lautsprecher auf Papier, 2015.

Die Verheißungen der kalifornischen Ideologie ist heute vielen suspekt. Entgegen den Hoffnungen früher Enthusiasten hat das Internet in den 1990er Jahren nicht die gesamte Menschheit vereint. Genauso wenig wie es die sozialen Medien in den 2000er Jahren taten. In Washington, London und Brüssel haben die politisch Verantwortlichen längst aufgehört, die Technik mit utopischen Visionen globaler Harmonie in Verbindung zu bringen, und machen sie stattdessen für Ablenkung, Polarisierung, Porno- und Spielsucht, die Trivialisierung der Kultur, den Verlust der Privatsphäre und der Vereinbarkeit von Berufs- und Privatleben sowie für die Befürchtung verantwortlich, dass durch Automatisierung Millionen von Menschen arbeitslos werden könnten.

Die wachsende Skepsis hat die Beschleunigung des Wandels kaum aufgehalten. Fortschritte im Bereich der künstlichen Intelligenz scheinen uns den nächsten technologischen Wendepunkt zu bescheren – und das schon sehr bald. Das versprechen zumindest die Befürworter der künstlichen Intelligenz und befürchten ihre Kritiker. „Generative“ künstliche Intelligenz, die auf großen Sprachmodellen basiert – zum Beispiel ChatGPT von OpenAI, Claude von Anthropic und Llama von Meta – wird von Version zu Version immer leistungsfähiger. Branchenführer wie Dario Amodei von Anthropic sind der Meinung, dass eine gut entwickelte „agentenbasierte“ KI kurz vor dem Durchbruch steht, also eine KI, die in der Lage ist, in der realen Welt zu handeln, z. B. einen Urlaub zu buchen oder eine Hochzeit zu planen.

Inzwischen verändern spezialisierte Versionen der KI eine ganze Reihe von Branchen. In der Pharmazeutik hat ein KI-Durchbruch in diesem Jahr ein fünfzig Jahre altes Problem der Molekularbiologie gelöst, indem Wissenschaftler in die Lage versetzt wurden, die Form von Proteinen schnell dreidimensional zu modellieren. Andere KI-Anwendungen versprechen eine erheblich beschleunigte Arzneimittelentwicklung und -prüfung. Im Gesundheitswesen können KI-Algorithmen Krebserkrankungen in frühen Stadien mit hoher Genauigkeit erkennen und übertreffen damit oft die Leistung erfahrener Radiologen. Im Einzelhandel hilft KI bei der Verwaltung von Lagerbeständen und der Vorhersage von Nachfragemustern, wodurch die Effizienz der Lieferketten verbessert wird. Und in der Automobilindustrie sind vollautonome Fahrzeuge zwar noch Zukunftsmusik, KI-Systeme in Autos verbessern jedoch bereits die Fahrsicherheit.

Wir stehen an der Schwelle eines Übergangs, der unser Leben verändern könnte –  zum Guten oder zum Schlechten.

Andere Entwicklungen sind eher beunruhigend. Mehrere Länder arbeiten bereits an der Fertigstellung autonomer Waffensysteme – also Killerroboter – für den Einsatz auf dem Schlachtfeld. Im Bereich der menschlichen Gentechnik beschleunigt die KI die Genomforschung und bringt so den Tag näher, an dem es möglich sein wird, Designer-Babys zu erschaffen. Und dann ist da natürlich noch die Apokalypse: Einige KI-Experten befürchten, dass die Technologie mächtig genug werden könnte, um die Menschheit auszulöschen, und das Pentagon scheint das Risiko ernst zu nehmen, dass KI einen Atomkrieg auslösen könnte. Wir stehen an der Schwelle eines Übergangs, der unser Leben verändern könnte – zum Guten oder zum Schlechten.

Als die kalifornische Ideologie 1992 gerade an Fahrt aufnahm, veröffentlichte Neil Postman Technopoly, ein klassisches Werk der Kulturkritik, das die Beziehung zwischen dem Menschen und seinen Werkzeugen untersucht. Das Buch beginnt mit einem Zitat aus Platons Erzählung über den Mythos von Thamus, einem ägyptischen Pharao. Der König wird von dem Gott Theuth angesprochen, der ihm verschiedene Erfindungen vorstellt, darunter die Schrift. Theuth behauptet, dass die Schrift sowohl die Weisheit als auch das Gedächtnis der Ägypter verbessern wird. Thamus hält jedoch dagegen:

Diese Erfindung wird in den Köpfen derer, die sie zu benutzen lernen, Vergesslichkeit hervorrufen, weil sie ihr Gedächtnis nicht trainieren werden. Ihr Vertrauen in die Schrift, die von äußeren Zeichen erzeugt wird, die kein Teil von ihnen selbst sind, wird sie davon abhalten, ihr eigenes Gedächtnis zu benutzen. Ihr habt ein Elixier nicht des Gedächtnisses, sondern des Erinnerns erfunden; und ihr bietet euren Schülern den Anschein von Weisheit, nicht wahre Weisheit, denn sie werden vieles ohne Unterweisung lesen und daher vieles zu wissen scheinen, während sie größtenteils unwissend sind und mit ihnen schwer zurechtzukommen ist, da sie nicht weise sind, sondern nur weise erscheinen.

Postman argumentiert, dass die digitale Technologie, dazu neigt, unsere Sicht auf die Natur und uns selbst zu verändern. Wir fangen an, die Natur als bloße Information zu betrachten, die verarbeitet werden muss, und den Menschen als bloßen Verarbeiter dieser Information zu sehen. In dem Maße, in dem wir zulassen, dass die Logik der Maschine zu unserer eigenen wird, werden wir zu „Werkzeugen unserer Werkzeuge“, um es mit Thoreaus Worten auszudrücken.

Postman praktizierte, was er predigte, und verzichtete auf digitale Hilfsmittel. Er zog es vor, in einer analogen Welt zu bleiben, die im Verschwinden begriffen war. Betrachtet er die technologischen Revolutionen der Vergangenheit, blickt er immer wehmütig zurück. (Das verschafft ihm manchmal blinde Flecken; so macht er sich etwa über die Mängel der modernen Medizin lustig, während er ihre Errungenschaften kurz hält.) Er ist fasziniert von der Unvorhersehbarkeit der Auswirkungen von Innovationen und stellt fest, dass die Erfindung des Buchdrucks durch den frommen Johannes Gutenberg die unbeabsichtigte Folge hatte, die Einheit der westlichen Christenheit zu zerstören. Mit jeder solchen Veränderung geht eine Welt unter:

Der technologische Wandel ist weder additiv noch subtraktiv. Er ist ökologisch. „Ökologisch“ im Sinne, wie das Wort von Umweltwissenschaftern verwendet wird. Eine signifikante Veränderung bewirkt eine totale Veränderung. . . . Eine neue Technologie fügt nicht etwas hinzu oder zieht etwas ab. Sie verändert alles.

So wie die Einführung oder Auslöschung einer Spezies ein Waldökosystem verändern kann, so kann eine neue Technologie das gesamte Gefüge unseres Lebens neu gestalten.

Diese art von ökologischem Wandel beschreibt Jonathan Haidt in seinem neuen Buch The Anxious Generation: How the Great Rewiring of Childhood Is Causing an Epidemic of Mental Illness. Haidt, Sozialpsychologe an der New York University, listet Beweise für einen Anstieg einer ganzen Reihe von Krankheiten, der um das Jahr 2010 begann, als Smartphones, soziale Medien und Like-Buttons Teil von Kindheit und Jugend wurden. Er stellt fest, dass in diesem Zeitraum die Häufigkeit von Angstzuständen, Depressionen und Einsamkeit unter Jugendlichen in den USA sprunghaft anstieg. Seit 2010 sind die Selbstmordraten bei amerikanischen Jungen um 91 Prozent und bei Mädchen um 167 Prozent gestiegen, während die Zahl der Spitalsbesuche wegen Selbstverletzungen bei Jungen um 48 Prozent und bei Mädchen um 188 Prozent zugenommen hat.

Provokativ argumentiert Haidt, dass diese „Welle des Leidens“ mit dem Aufkommen von Smartphones nicht nur zusammenfällt, sondern daraus resultiert. Seinen Erkenntnissen zufolge verschlimmert der ständige Zugang zu sozialen Medien das Imagebewusstsein und die Verletz-lichkeit von Mädchen, während internetfähige Geräte es Jungen ermöglichen, sich in virtuelle Erfahrungen zurückzuziehen, um den Herausforderungen der realen Welt zu entkommen.

Die Auswirkungen beschränken sich nicht auf die Zahl der psychischen Erkrankungen. In den frühen 1990er Jahren verbrachten Jugendliche in den USA etwas weniger als drei Stunden pro Tag vor Bildschirmen, hauptsächlich vor dem Fernseher. Heute ist diese Zahl auf sechs bis acht Stunden pro Tag angestiegen, (die schulische Nutzung nicht mitgezählt). Es ist kein Geheimnis, warum das so ist. Multinationale Tech-Giganten, die mit Algorithmen und riesigen Datenmengen ausgestattet sind, sind immer besser darin geworden, Jugendliche an ihre Produkten zu fesseln. Das ist für sie lukrativ, aber für die Kinder mit enormen Kosten verbunden, da sie dazu verleitet werden, große Teile ihrer Teenagerzeit dem Bildschirm zu überlassen.

Es reicht also nicht, zu fragen, was Jugendliche online tun und ob etwas davon schädlich sein könnte. Eine ebenso wichtige Frage ist: Was sind die Dinge, die ihnen offline entgehen? Haidt erzählt die Geschichte von Luca, einem jungen Mann aus North Carolina:

Luca litt in der Mittelschule unter Angstzuständen. Seine Mutter nahm ihn mit 12 aus der Schule, und erlaubte ihm, in seinem Zimmer online zu lernen. Jungen früherer Generationen wären in dieser Situation mit Langeweile und fast unvorstellbarer Einsamkeit konfrontiert gewesen – Bedingungen, die die meisten Jugendlichen dazu gezwungen hätten, ihr Verhalten zu ändern oder Hilfe zu suchen. Luca jedoch fand eine Online-Welt, die gerade lebendig genug war, um seinen Geist vor dem Verhungern zu bewahren. Zehn Jahre später surft er immer noch die ganze Nacht im Internet und spielt Videospiele. Tagsüber schläft er.

Lucas Geschichte ist eine extreme Version eines Verhaltens, das die meisten Eltern von heranwachsenden Jungen kennen werden. Wie Postman anmerken würde, handelt es sich dabei um das Ausleben einer Dynamik, die in die Technologie eingebaut ist und die immer stärker wird, je intensiver die Online-Erfahrung wird. Wenn sie nicht durch Interessen, Arbeit und Freundschaften ausgeglichen wird, kann die virtuelle Welt ein ganzes Leben verschlingen.

Leonardo Ulian, Techno Atlas 017(W) – Speak to Me, Elektronikbauteile und Kupferdraht auf Holzfaserplatte und Papier, 2022.

Luca scheint bei weitem nicht allein zu sein. Es gibt zahlreiche Online-Communities für NEETs („not in education, employment, or training“) und Hikikomori, eine japanische Bezeichnung für junge Menschen, die ihr Leben als digitale Einsiedler in ihren Schlafzimmern verbringen.

Ein Reddit-Nutzer erklärte auf die Frage, warum er ein NEET wurde: „Als ich aufwuchs, hatte ich keine Freunde und schwänzte die Schule, um zu Hause zu bleiben und Videospiele zu spielen. Daran hat sich nicht viel geändert, außer dass ich nicht mehr zur Schule gehe.“

Während sich Technopoly auf die Gesellschaft und die Systeme konzentriert, könnte die tiefere Bedrohung durch die Technologie heute in ihren Auswirkungen auf die Seele des Einzelnen liegen. In dem Maße, wie sich die virtuelle Realität verbessert und KI-Chatbots als Freunde und Liebespartner immer glaubwürdiger werden, werden unsere Werkzeuge immer besser darin, unsere tiefsten menschlichen Bedürfnisse nach Liebe, Sinn und Abenteuer zu erfassen. Wenn wir es zulassen, bieten sie uns immer überzeugendere Simulationen dessen, was wir uns wünschen, während sie uns – durch Ablenkung, Gewohnheit und mangelnde Selbstbeherrschung – davon abhalten, die Realität zu erleben.

Aber das ist nicht so unvermeidlich, wie Postman befürchtete. Wir müssen unseren Werkzeugen nicht ausgeliefert sein und auch nicht an unserer Fähigkeit verzweifeln, sie zu kontrollieren. Wir Menschen haben die Freiheit, unsere Kreativität für das Gute einzusetzen. Solange wir das tun, ist der Erfindungsreichtum unserer Spezies ein Vorteil und kein Nachteil.

Das gilt ganz offensichtlich für medizinische Technologien wie Tristans CGM, das ihm genau die Art von „spielerischer“ Kindheit ermöglicht, die Haidt als Gegenmittel zu einer „Smartphone-basierten“ Kindheit anpreist. Eine bestimmte Sorte konservativer Kritiker zieht gerne die Grenze zwischen guter und schlechter Technologie bei medizinischen Anwendungen, wobei sie den Fortschritt bei der Behandlung von Krankheiten begrüßt und die Gefahren der technischen Beschleunigung nur in anderen Bereichen sieht. Diese saubere Trennung hält der Praxis nicht stand. Schließlich kann Tristan am See riskante Sprünge üben, dank der weiten Verbreitung erschwinglicher Smartphones, die genau die schädlichen Trends vorantreiben, die Haidt hervorhebt. Genau die Technologien großer Sprachmodelle, die Sorgen um die künstliche Intelligenz schüren, versprechen noch bessere Behandlungen für künftige Diabetespatienten.

Wie können wir also gut mit der Technik leben? Zunächst einmal indem wir uns auf die analoge Version dessen besinnen, was technische Produkte so oft versprechen: Gemeinschaft. Sowohl Postman als auch Haidt helfen uns auf unterschiedliche Weise zu erkennen, dass die Herausforderung der Technik kollektiv ist. Auch unsere Antwort muss kollektiv sein. Wenn wir vor einer weiteren Runde von Postmans „ökologischem“ Wandel stehen, müssen wir umso aktiver werden, um Gemeinschaften aus Fleisch und Blut zu fördern, die robust genug sind, um die Technologie in Zaum zu halten. Das kann so einfach sein wie ein Netzwerk von Eltern, die gemeinsame Normen für ihre Familien festlegen. Es kann ein Freundeskreis, eine Schule, ein Unternehmen, eine Kirche oder ein Gemeinwesen sein. In welcher Form auch immer, eine starke Gemeinschaftskultur kann sich dem Druck der Technologien widersetzen, Menschen auf menschenfeindliche Weise zu formen.

In meiner Gemeinschaft, dem Bruderhof, begrüßen wir Formen der Technologie, von denen wir glauben, dass sie zum Gedeihen des Einzelnen und unseres gemeinsamen Lebens beitragen, während wir gleichzeitig den Formen Grenzen setzen, die dies nicht tun. Wir praktizieren beispielsweise eine verschärfte Auslegung der Richtlinien für Kinder, die Haidt in seinem Buch vorschlägt: Keine Handys in Schulen. Keine Smartphones, bis Jugendliche alt genug sind, um Auto zu fahren (Tristan ist hier die offensichtliche Ausnahme, und sein Telefon ist auf die wesentlichen Funktionen reduziert). Kinder von sozialen Medien fern halten, bis sie alt genug sind, um wählen zu dürfen (auch Erwachsene sollten sie nur dann nutzen, wenn sie diese für Arbeit, Studium oder kreative Zwecke benötigen).

Grenzziehung ist auch für eine Gesellschaft als Ganzes möglich. In Frankreich hat ein von Präsident Emmanuel Macron beauftragtes Gremium kürzlich vorgeschlagen, Smartphones für Kinder unter 13 Jahren und soziale Medien für Kinder unter 15 Jahren zu verbieten. In Bezug auf KI sind sich sogar Branchenführer einig, dass eine strengere Regulierung erforderlich ist, als sie in den Anfangsjahren des Internets und der sozialen Medien üblich war.

Leonardo Ulian, Technological Mandala 59 – 1+1=3, Elektronikbauteile und Kupferdraht auf Papier, 2015.

Gemeinschaften mit einer gesunden Kultur der Solidarität sind also sowohl auf der Mikro- als auch auf der Makroebene wichtig. Ebenso wie die Ziele einer Gemeinschaft bei der Nutzung der Technologie. Das Buch Genesis, obwohl in einem antiken Kontext geschrieben, wirft ein Licht auf diese Frage. Laut den ersten Kapiteln des Buches wird der Mensch „als Abbild“ des Schöpfers geschaffen – ausgestattet mit einem kreativem Erfindergeist, der dem Gottes selbst gleicht, und beauftragt, als sein Vertreter in der Welt zu handeln. Gott setzt die ersten Menschen als Verwalter und Hüter über die übrige Natur ein und befiehlt ihnen, „die Erde zu füllen und zu unterwerfen und über die Fische des Meeres und die Vögel des Himmels und über alle Tiere, die auf der Erde kriechen, zu walten“.

Nachdem die ersten Menschen das Paradies verlassen haben, machen sie sich daran, genau das zu tun, indem sie ihren Erfindungsreichtum nutzen, um Werkzeuge herzustellen, Strukturen zu schaffen und Organisationen zu entwickeln. Nutzen sie diese Technologien, um in Erfüllung ihrer göttlichen Berufung gut zu bauen, kann ihre Arbeit sowohl die Menschheit als auch andere Lebewesen vor einer Katastrophe bewahren; so wie Noah beim Bau der Arche. Wenn sie jedoch bauen, um sich von Gott unabhängig zu machen, und damit seinen Auftrag verletzen, für die Welt zu sorgen, enden ihre Projekte im sozialen Zusammenbruch; so wie es den Erbauern des Turms zu Babel erging.

Eine starke Gemeinschaftskultur kann sich dem Druck der Technologien widersetzen, Menschen auf menschenfeindliche Weise zu formen.

Wie können wir unsere Berufung als Bewahrer der Schöpfung erfüllen, in der Art wie wir Technologie nutzen? Da gibt es ganz praktische Möglichkeiten. Meine Gemeinschaft lernte, dass wir nicht nur Disziplin und Beschränkung brauchen. Noch wichtiger ist eine positive Lebensgestaltung. Verdrängen Sie das Virtuelle durch das Reale. Seien Sie in der physischen Welt präsent. Schenken Sie den Menschen, die Ihnen nahestehen, den größten Teil Ihrer Aufmerksamkeit. Verbringen Sie Zeit im Freien, beobachten Sie Sonnenunter- und Mondaufgänge. Pflanzen Sie Gemüse an, beobachten Sie Vögel, gehen Sie angeln oder jagen. Ziehen Sie Welpen, Kaninchen und Schweine auf. Thamus hatte Recht: Mit jeder technischen Revolution geht eine Welt unter. Aber es beginnt auch eine neue. Thamus’ Erfindung der Schrift brachte den Verlust der mündlichen Überlieferung mit sich, ermöglichte aber auch die Abfassung der Bibel, ganz zu schweigen von den Werken Platons, Dantes und Shakespeares. Vor 70 Jahrtausenden ging mit der Erfindung von Pfeil und Bogen eine Welt zu Ende und eine andere begann; zweifellos wird das Gleiche wieder geschehen, wenn die nächste technologische Grenze durchbrochen wird.

Davor brauchen wir keine Angst zu haben, solange wir uns daran erinnern, die Freiheit, die der Menschheit zusteht, mit Stolz zu verteidigen. Wir müssen die Herren unserer Werkzeuge bleiben. Dazu brauchen wir starke Gemeinschaften, wie sie von vielen Menschen auf der ganzen Welt angestrebt werden (einige werden in diesem Magazin vorgestellt). Und wir müssen unsere Werkzeuge so gestalten und einsetzen, dass sie unserer menschlichen Berufung dienen, damit wir nicht babylonische Städte, sondern Archen bauen können.