Diese in Deutsch wiedergegebene alte russische Legende basiert auf Maxim Gorkis “Danko of the Burning Heart” aus dem Jahre 1895.
Es war einmal ein Volk, das hatte sich in einem großen, finsteren Wald verirrt. Dort standen die Bäume so dicht, dass das Licht der Sonne die dichten Äste nie durchdringen konnte. Auch gab es dort unzählige wilde Tiere, die überfielen die Menschen, besonders die Kinder, wenn sie sich im Spiel zu weit von den Großen entfernten. So lebten alle in beständiger Furcht vor Tod und Verderben, und eine hoffnungslose Verzweiflung durchzog die Herzen der Menschen. Die lange tiefe Finsternis hatte alles Licht in ihren Herzen erstickt, sie konnten einander nicht mehr lieben, ja sie hassten und mordeten einander in finsterem Zorn. Und doch mussten sie immer zusammen sein, denn einzeln vermochten sie sich nicht gegen die Angriffe der Tiere zu wehren. Sie hatten alle Hoffnung, jemals aus dem Wald herauszufinden, verloren. Viele der Jungen glaubten nicht an das Licht, das sie nie gesehen hatten, und spotteten über die Alten, wenn diese mit einem letzten schwachen Leuchten in den trüben Augen von den festlichen Sonnentagen ihrer Jugend erzählten.
Alle lebten in beständiger Furcht vor Tod und Verderben, und eine hoffnungslose Verzweiflung durchzog die Herzen der Menschen.
Im Volk gab es jedoch einen jungen Mann mit Namen Heliofer. Der war viel für sich allein und trauerte über die Not seines Volkes und suchte einen Weg der Rettung. In all dem Dunkel und der kalten Trostlosigkeit trug er ein unbeschreibliches Sehnen nach Licht und Liebe in seinem Herzen. So verließ Heliofer sein Volk, um die Sonne zu suchen. Viele Monate und Jahre durchschritt er die Gefahren des Waldes und des eigenen Gemütes, das so oft ohne Hoffnung und Zuversicht war. Dennoch widerstand er mutig den Feinden, ob in ihm selbst oder außerhalb, und erreichte den Waldrand und sah das Licht der Sonne.
Als er von seiner Ohnmacht erwachte, die ihn in erschrecktem Erstaunen erfasst hatte, sah er sich von schönen Menschen umgeben, die ihn in seinem Schlaf bewacht hatten. Die schlichten Hütten der Sonnenmenschen standen inmitten von grünen Wiesen, und Heliofer lebte nun in Frieden und unendlicher Freude unter ihnen als ein Geliebter unter Geliebten.
Eines Tages kehrte Heliofer in den Wald zurück, um sein Volk zu suchen. „Kommt, ihr Brüder, ihr Schwestern, ich führe euch zum Licht!“ sprach er zu ihnen. Da gab es ein Murren und Stirnrunzeln, ein Zaudern und Zögern, dann ein Staunen und Fragen, ungläubiges Lächeln – und dann ein jubelndes Ja und einen sehnsuchtsvollen Aufbruch; denn Heliofer trug das Leuchten der Sonne in den Augen.
Der Weg aber war lang und beschwerlich und forderte Not und Entsagung. Es erhob sich ein Murren im Volk, und einige sprachen: „Lasst uns ihn umbringen, den Verführer des Volkes!“ Und finstere Glut des Hasses war in ihren Augen.
Andere waren jedoch weiser und sprachen: „Nein, lasst uns im Beisein aller Gericht über ihn halten, denn es ist gefährlich dem Volk Märtyrer zu geben.“
Heliofer sprach immer weiter zu seinem Volk und redete vom Licht und von der Liebe. Die Weisen aber sprachen: „Du Lügner, es gibt kein Licht, es gibt keine Sonne, es gibt keine Liebe! Lasst uns finsterer sein als der Wald und grausamer als seine Tiere, dann werden wir Meister des Waldes sein.“
Unter großem Schmerzen antwortete Heliofer ihnen: „O glaubt doch nicht, ihr Weisen, ihr könntet mit noch größerer Dunkelheit über das Dunkel siegen, und die Tiere besiegen, indem ihr noch tierischer seid. Nur die Liebe ist stärker, nur das Licht der Sonne vertreibt das Dunkel.“
„Schweig“, sprachen die Weisen, „es gibt kein Licht, es gibt keine Sonne!“ Und das Volk brüllte in wütender Verzweiflung: „Es gibt kein Licht, es gibt keine Sonne!“
Heliofer sprach: „Folgt mir!“ und riss sich mit den Nägeln die Brust auf, und sein Herz brannte in Liebe und glühte, und es erstrahlte der finstere Wald. Da nahm er es in beide Hände, erhob es hoch über sein Haupt und schritt dem Volk voran. Schweigend in Ehrfurcht und Staunen folgte die Menge dem brennenden Herzen. Und das Volk jubelte der Sonne entgegen und tanzte in ihren liebenden Strahlen, und sie liebten einander. Heliofer aber kniete am Rand des Waldes nieder und hielt mit letzter Kraft der ersterbenden Arme sein zuckendes, liebendes Herz dem Licht des Himmels entgegen und sandte sein letztes Lächeln zum Volk.