Pflug: „Wandelt würdig der Berufung, mit der ihr berufen seid”, schrieb der Apostel Paulus (Eph 4,1). Worin besteht diese Berufung?

Erzbischof Angaelos: Wir haben alle eine Berufung, nämlich die, „das Licht der Welt” und „das Salz der Erde“ zu sein und als Glieder des Leibes Christi zu unseren Gemeinschaften beizutragen. Gott schenkt uns Gaben, damit wir sie einsetzen, wie die treuen Verwalter im Matthäusevangelium Kapitel 25. Sie kamen und zeigten dem Herrn den Gewinn, den sie mit dem gemacht hatten, was ihnen anvertraut worden war. Gott treu nachzufolgen ist eine Berufung.

Natürlich kann Berufung auch konkreter bedeuten, zu einem christlichen Dienst berufen zu sein. Das könnte das Amt des Bischofs, Priesters oder Diakons sein, oder auch desjenigen, der Kindergottesdienste veranstaltet, den Obdachlosen Essen gibt oder auf andere Weise dient.

Dann gibt es ebenso – wie in meinem Fall – die Berufung, Mönch zu sein. Das Mönchstum wurde im vierten Jahrhundert vom heiligen Antonius in den Wüsten Ägyptens gegründet und bildet eine der Säulen der koptisch-orthodoxen Kirche. Heute haben wir pulsierende Klöster und Konvente, in denen engagierte Männer und Frauen ihrer besonderen Berufung nachgehen, für die Kirche und die Welt zu beten, und dem Ruf gehorsam sind, „alles zu verlassen, um mit dem Einen zusammen zu sein“. Aber sie verlassen weder die übrige Kirche noch die Welt: Sie dienen der Kirche und der Welt mit ihren Gebeten. Unsere Gemeindepriester werden als verheiratete Männer ordiniert, während unsere Mönche und Bischöfe alle zölibatär leben.

Sie selbst lebten in einem Kloster. Was hat Sie dazu gebracht?

Ich wurde in Ägypten geboren. Wir emigrierten als Familie nach Australien, als ich fünf Jahre alt war. Als junger Mann empfand ich einen starken Ruf, nach Ägypten zurückzukehren und mich einem Kloster anzuschließen. Ich verließ 1990 Australien, als ich 22 Jahre alt war, und nachdem ich meine lebenslangen Gelübde der Keuschheit, Armut und des Gehorsams abgelegt hatte, schloss ich mich dem Kloster Saint Bishoy an, im Tal von Scetis – auf Arabisch Wadi El Natrun. Es liegt auf halbem Weg zwischen Kairo und Alexandrien, an der Wüstenautobahn. Dieses Kloster wurde im vierten Jahrhundert gegründet, und einige Gebäude gehen tatsächlich noch auf diese Zeit zurück. Jetzt leben dort etwa 250 Mönche.

Der Schritt, einer religiösen Gemeinschaft gegenüber ein lebenslanges Gelübde abzulegen, erscheint vielen heute als radikal. Was führte sie dazu, Mönch zu werden?

Gott spricht zu uns auf Weisen, die er bestimmt. Wenn Sie und ich über unsere Berufung nachdenken, können wir uns erinnern, wie sie uns damals erschien, und können jetzt im Rückblick vielleicht mehr erkennen. Damals fühlte ich mich innerlich geführt, die Welt zu verlassen und in ein Kloster einzutreten. Ich war in meiner Gemeinschaft in Australien sehr engagiert: Ich diente in der Kirche, ich hatte Politikwissenschaft und Philosophie studiert und dann ein Zusatzstudium in Jura absolviert. Außerdem arbeitete ich. Aber ich habe das alles hinter mir gelassen, weil ich in der Wildnis sein wollte, um zu beten.

Obwohl die überwiegende Mehrheit der Mönche ein Leben lang in ihren Klöstern bleibt, werden wir manchmal an einen anderen Ort geschickt. Wie gesagt, unsere Gemeindepriester werden in der Regel als Ehemänner ordiniert, aber es gibt Ausnahmen - wie in meinem Fall. Nach einer Zeit im Kloster wurde ich nach England gesandt, um als Mönchspriester in einer sehr kleinen Gemeinde zu dienen. Dann wurde ich zum Bischof geweiht und nun zum Erzbischof ernannt.

Wie erklären Sie sich die Lebendigkeit der koptischen Klöster?

Wir fasten, wir beten. Diese asketischen Praktiken, die aus dem vierten Jahrhundert stammen, sind nach wie vor ein entscheidender Teil dessen, was uns ausmacht. Die Klöster sind auch ein Zufluchtsort. Selbst wenn es einen starken Druck gibt, den Glauben aufzugeben, können Männer und Frauen dort hinkommen und eine lebendige Kirche finden, die auf Gott vertraut.

Entgegen dem Missverständnis einiger nicht-orthodoxer Historiker flohen die frühen Mönche und Nonnen nicht in die Wüste, um dem Märtyrertod zu entgehen, denn die Klöster selbst waren Angriffsziele der Berber um sie herum, die viele der Mönche und Nonnen wegen ihres christlichen Glaubens töteten; aber die Klöster blieben stehen und haben diese Verfolgung überlebt.

Es war noch nie so, dass unsere Klöster nur für Christen oder nur für Kopten gedacht waren. Zum Beispiel hat mein Kloster eine Falltür an der Spitze des Torbogens, der in sicherer Höhe über dem Haupteingang des Klosters ist. Die Mönche ließen sie einbauen, damit sie Nahrung, Wasser und Medikamente für angreifende Plünderer herunterlassen konnten, was dem Ideal christlicher Haushalterschaft und Gastfreundschaft entspricht. Wir müssen uns um unsere Gemeinden kümmern, aber auch um die Welt, sogar um diejenigen, die sich selbst als unsere Feinde betrachten.

Auch im Leben der Laien spielt die Askese eine Rolle. Man fastet etwa zwei Drittel des Jahres und betet täglich. Glauben Sie, dass es einen Zusammenhang zwischen diesem Lebensrhythmus und der Bereitschaft so vieler in Ihrer Kirche gibt, für ihren Glauben zu leiden und vor allem der Bereitschaft, die besondere Berufung zum Martyrium anzunehmen?

Fasten und Liturgie werden zu einem festen Bestandteil des Lebens. Es besteht ein Zusammenhang zwischen dem privaten persönlichen Gebetsleben und dem sehr öffentlichen Zeugnis des Märtyrertums, wie damals, als die 21 Märtyrer im Jahr 2015 vom IS getötet wurden. Darin erkennen wir die Schönheit der Kirche.

Einige mögen die koptische Orthodoxie für veraltet oder irrelevant halten, aber wenn wir jene Märtyrer sehen, die ganz natürlich ihren Glauben bezeugt und sogar den höchsten Preis bezahlt haben, erkennen wir, dass die koptische Kirche lebt und für ihre Kinder in besonderer Weise sorgt. Die Treue verschmilzt untrennbar mit ihrem Wesen und Gott gibt uns die Gnade, diesen Schmerz zu überwinden und dem Druck zu widerstehen, den Glauben aufzugeben.

Können Sie beschreiben, was in Ägypten in den letzten Jahren passiert ist?

Nun ... das ist keine Frage der letzten Jahre. Der Evangelist Markus verkündigte Christus in Ägypten zur Mitte des ersten Jahrhunderts. Die Kirche ist seither immer präsent, und wir haben seit damals die eine oder andere Form der Verfolgung erlitten. Das setzt sich in unserer heutigen Geschichte fort, besonders seit dem Aufstand gegen den damaligen Präsidenten Mubarak - im sogenannten „Arabischen Frühling“ -, wo es zu einem vorübergehenden Zusammenbruch von Recht und Ordnung kam.

Seit jener Zeit haben wir vielfache Formen von gewalttätigem Islamismus erlebt, der sich gegen Christen richtete. Allein in den letzten zwei Jahren haben wir etwa einhundertfünfzig Kinder, Frauen und Männer verloren – durch Terroranschläge in Form von Bombenanschlägen auf Kirchen, Schießereien und der in einigen Regionen anhaltenden Angriffe auf christliche Familien und Einzelpersonen. Am Palmsonntag gab es inmitten der Feierlichkeiten Bombenangriffe auf Kirchen in Alexandria und Tanta, Schüsse auf Gläubige, die aus den Kirchen kamen, und mindestens zweimal Schießereien auf Pilger, die sich in einem Bus auf der Pilgerfahrt zu einem Kloster befanden. Bei einer wurde eine ganze Großfamilie auf ihrer Rückkehr von einer Taufe im Kloster angegriffen.

Das Zeugnis der koptischen Christen in Ägypten besteht darin, dass sie weiterhin ihr Leben leben, auch wenn sie wissen, dass sie Zielscheiben sind. Ich habe Familien gekannt, die miteinander beten, bevor sie in den Gottesdienst gehen, weil sie wissen, dass sie vielleicht nicht mehr alle zurückkommen.

Papst Franziskus hat den Ausdruck „die Ökumene des Blutes“ verwendet. Inwieweit hat die Verfolgung der koptischen Kirche in den letzten Jahren neue Chancen für die Einheit der Christen geöffnet?

Ich habe diese Äußerung von Papst Franziskus zum ersten Mal im Jahr 2013 in Rom anlässlich des vierzigsten Jahrestages der Unterzeichnung des christologischen Abkommens zwischen unseren beiden Kirchen gehört, das die theologische Frage klärte, die uns im fünften Jahrhundert gespalten hatte.

Wir dürfen nicht vergessen, dass einer der 21 libyschen Märtyrer von 2015 kein Kopte war, sondern Ghanaer. Aber auf eine seltsame Art bringt Verfolgung uns zur Einheit. Wenn die Verfolger kommen, fragen sie nicht, welcher Konfession du angehörst, sie töten dich – nur weil du ein Christ bist. Von unseren Verfolgern werden wir alle gleich bezeichnet, und da sollten wir als Leib Christi diese Gemeinsamkeit gewiss anerkennen.

Nicht nur Kopten werden verfolgt. In letzter Zeit gab es Bombenanschläge auf Kirchen in Sri Lanka und im Irak, und Christen wurden auch in Syrien und in Nigeria getötet. Wir alle müssen uns das zu Herzen nehmen; wir müssen lernen, füreinander zu beten, füreinander einzutreten und den Schmerz und die Freude des anderen zu teilen. Ich kann mich nicht zurücklehnen und damit abfinden, dass ein anderer Mensch verfolgt wird, und dies gilt umso mehr, wenn der andere, gemeinsam mit mir, ein Glied am Leib Christi ist.