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    colorful striped painting of a wheelchair

    Grund zur Freude

    Ausschaltung des Schwachen ist Tod der Gemeinschaft

    von Dietrich Bonhoeffer

    Freitag, 22. September 2023
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    Wir bekämpfen unsere bösen Gedanken oft am wirksamsten, wenn wir ihnen grundsätzlich das Wort verbieten. Die richtenden Gedanken werden dadurch zum Ersticken gebracht, dass man ihnen niemals das Recht einräumt, zu Worte zu kommen, es sei denn als das Bekenntnis der Sünde.

    Wer seine Zunge im Zaum hält, der beherrscht Seele und Leib (Jak 3, 3 ff). So wird es eine entscheidende Regel jedes christlichen Gemeinschaftslebens sein, die dem einzelnen das heimliche Wort über den Bruder verbietet, auch dort, wo es unter dem Schein der Hilfe und des Wohlwollens steht. Denn gerade in dieser Deckung wird sich der Geist des Bruderhasses immer einschleichen, wenn er nach Schaden trachtet.

    Wo diese Zucht der Zunge von Anfang an geübt wird, dort wird jeder einzelne eine unvergleichliche Entdeckung machen. Er wird aufhören können, den andern unaufhörlich zu beobachten, ihn zu beurteilen, ihn zu verurteilen, ihm seinen bestimmten beherrschbaren Platz zuzuweisen und ihm so Gewalt zu tun. Er kann nun den Bruder frei stehen lassen, so wie Gott ihn ihm gegenübergestellt hat. Der Blick weitet sich, und er erkennt zu seinem Erstaunen zum ersten Male den Reichtum der Schöpferherrlichkeit Gottes. Gott hat den andern nicht gemacht, wie ich ihn gemacht hätte. In seiner geschöpflichen Freiheit wird mir nun der andere Grund zur Freude, während er mir vorher nur Mühe und Not war. Gott will nicht, dass ich den andern nach dem Bild forme, das mir gut erscheint, also nach meinem eigenen Bilde, sondern in seiner Freiheit von mir hat Gott den andern zu seinem Ebenbilde gemacht. Ich kann es niemals im Voraus wissen, wie Gottes Ebenbild im andern aussehen soll, immer wieder hat es eine ganz neue, allein in Gottes freier Schöpfung begründete Gestalt. Mir mag sie fremd erscheinen, ja ungöttlich. Aber Gott schafft den andern zum Ebenbilde seines Sohnes, des Gekreuzigten, und auch dieses Ebenbild schien mir ja wahrhaftig fremd und ungöttlich, bevor ich es begriff.

    Gott hat den andern nicht gemacht, wie ich ihn gemacht hätte. In seiner geschöpflichen Freiheit wird mir nun der andere Grund zur Freude, während er mir vorher nur Mühe und Not war.

    Nun wird Stärke und Schwachheit, Klugheit oder Torheit, begabt oder unbegabt, fromm oder weniger fromm, nun wird die ganze Verschiedenartigkeit der einzelnen in der Gemeinschaft nicht mehr Grund zum Reden, Richten, Verdammen, also zur Selbstrechtfertigung sein, sondern sie wird Grund zur Freude aneinander und zum Dienst aneinander.

    Auch jetzt empfängt jedes Glied der Gemeinschaft seinen bestimmten Ort, aber nicht mehr den, an dem es sich am erfolgreichsten selbst behauptet, sondern den Ort, an dem es seinen Dienst am besten ausrichten kann. Es kommt in einer christlichen Gemeinschaft alles darauf dass jeder einzelne ein unentbehrliches Glied einer Kette wird. Nur wo auch das kleinste Glied fest eingreift, ist die Kette unzerreißbar. Eine Gemeinschaft, die es zulässt, dass ungenutzte Glieder da sind, wird an diesen zugrunde gehen. Es wird darum gut sein, wenn jeder einzelne auch einen bestimmten Auftrag für die Gemeinschaft erhält, damit er in Stunden des Zweifels weiß, dass auch er nicht unnütz und unbrauchbar ist. Jede christliche Gemeinschaft muss wissen, dass nicht nur die Schwachen die Starken brauchen, sondern dass auch die Starken nicht ohne die Schwachen sein können. Die Ausschaltung der Schwachen ist der Tod der Gemeinschaft.

    Wer einmal in seinem Leben das Erbarmen Gottes erfahren hat, der will fortan nur noch dienen.

    Wer einmal in seinem Leben das Erbarmen Gottes erfahren hat, der will fortan nur noch dienen. Der stolze Thron des Richters lockt ihn nicht mehr, sondern er will unten sein bei den Elenden und Geringen, weil dort unten Gott ihn gefunden hat. Trachtet nicht nach hohen Dingen, sondern haltet euch herunter zu den niedriger (Röm 12, 16)."

     


    Auszug aus dem 1973 im Chr. Kaiser Verlag München erschienenen Bonhoeffer Brevier.

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