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    Die Bergpredigt: Eine Vergegenwärtigung

    von Jürgen Johannesdotter

    Montag, 16. November 2015
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    Predigt vom Beauftragten der EKD für den Kontakt zu den Kommunitäten, Bischof i.R. Jürgen Johannesdotter, über die Seligpreisungen in Matthäus 5. Diese Ansprache wurde am 24.10.2015  während der 8. Ökumenischen Begegnung von Orden, Kommunitäten, Bruderschaften, Geistlichen Gemeinschaften und Bewegungen im Klosterhospiz Neresheim gehalten. Die Begegnung stand unter dem Thema „Hoffnung, die uns trägt“ und die Tagung stand unter der Schirmherrschaft von S.E. Kardinal Walter Kasper, Rom.

    Wieder einmal sind wir beieinander und geben einander Anteil an der Hoffnung, die uns trägt. Wie wohltuend ist es, in einem Kreis von Menschen zu sein, die von einer Hoffnung, die sie trägt, sprechen können; Menschen, die nicht zuerst dem Geist des „bad news are good news“ huldigen, sondern die Kraft, die aus dem Glauben kommt, nutzen, um der Welt zu verdeutlichen, dass sie in aller Not, auch in der selbstverschuldeten Not, eine von Gott geliebte Welt ist.

    Dazu befürfen wir aber auch selbst der Vergewisserung der tragenden Hoffnung – und wie anders kann diese Hoffnung erfahrbar werden als durch die Bitte um Gottes lebendigen, gegenwärtigen Geist, der die Türen öffnet, die uns ohne ihn verschlossen bleiben. So muss uns auch der Heilige Geist erst den Zugang zu den „Seligpreisungen“ in der Bergpredigt im Matthäus-Evangelium eröffnen.

    Seit ich selbst im Zisterzienserkloster Loccum lebte, habe ich ein besonderes Verhältnis zu der Bergpredigt. Der Düsseldorfer Akademiemaler Gebhardt (1838-1925) wurde beauftragt, dort die Wände des neuen Seminarraums mit biblischen Motiven zu gestalten. Und er setzte seine Aufgabe in großer Unabhängigkeit vom Auftraggeber um. Und so kamen die Menschen aus Loccum, vom Abt bis zu den einfachen Dorfbewohnern mit einem Mal in den Gemälden vor. So geriet dann die Bergpredigt auf eine Anhöhe in der Nähe von Loccum mit Blick auf das Steinhuder Meer. Menschen in den Trachten der damaligen Zeit umgeben den Herrn Jesus, unter ihnen die Geistlichen im Talar, mit einem lutherischen Barrett auf dem Kopf, die Hirten mit ihren Schafherden. Ein Neutestamentler aus den USA rief während eines Besuches begeistert aus: „Das nennt man Vergegenwärtigung!“

    Bei einem Gespräch über die Seligpreisungen rief ein junger Student aus: „Ohne eine kleine Erfahrung mit Jesus würde ich diesen Text in die Ecke werfen.“ Dabei hat der Student nicht nur die Fremdheit des Textes ausgedrückt. Er hat sich auf die Linie des Evangelisten selbst gestellt. Bevor Matthäus die Bergpredigt bringt, berichtet er von Erfahrungen, die die ersten Hörer mit Jesus machten.

    Die Seligpreisungen weisen uns ein ins Reich Gottes, wie denn die Bergpredigt im Ganzen eine Anweisung ist, das Reich Gottes zu erfahren.

    Vergegenwärtigen wir uns, wie der Evangelist Matthäus die Bergpredigt inszeniert: Zuvor hat Jesus einen anderen Berg bestiegen, der war sehr hoch. Dort wurden ihm „Alle Reiche der Welt und ihre Herrlichkeit“ gezeigt um den Preis eines Fußfalls. Jesus verweigerte den Preis und rief in der Folge armselige Fischer, um mit ihnen zu gewinnen, was er auf dem Gipfel ausgeschlagen hat. Mit ihnen zog er umher „in ganz Galiläa, lehrte in ihren Synagogen, predigte das Evangelium vom Reich und heilte jede Krankheit und jedes Gebrechen im Volk“. Das war die Erfahrung, die die ersten Hörer der Bergpredigt mit Jesus gemacht hatten. Matthäus liegt daran zu betonen: Jesus hat Macht, heilende Macht. Er hat als Arzt unvergleichlich gewirkt. Kein Wunder dass eine große Volksmenge ihm nachlief.

    „Als er aber die Volksmenge sah, stieg er auf den Berg.“ Auf einem „sehr hohen Berg“ hatte ihm der Versucher die Reiche der Welt gezeigt. Jetzt wird keine Höhenangabe gemacht; dennoch wird er denen, die ihm folgen nun ein ganz anderes Reich zeigen. Auf dem Berg der Versuchung mußte der Böse abtreten. Auf dem Berg der Seligpreisungen aber treten die Jünger nun zu ihm. Auch das Volk ist nicht weit, denn am Schluss der Bergpredigt heißt es, „die Volksmenge erstaunte über seine Lehre.“ Nach Matthäus ging diese Rede an die Jünger, das Volk hörte mit, und wir mit den kleinen und fehlenden Erfahrungen hören auch mit und geraten ins Staunen, wenn wir unsere Ohren nicht verschließen.

    Auf einem Berg hatte auch Mose die zehn Gebote erhalten. Da hieß es „du sollst“. Jetzt verkündet Jesus sein Reichsgesetz. Da wird nicht zuerst gefordert, da wird angesagt, erhoben, ernannt. Achtmal „Selig sind“ und zuletzt „Selig seid ihr“ und zweimal „Ihr seid“: Ihr seid das Salz der Erde, das Licht der Welt. Damit proklamiert der neue Gesetzgeber seine Weltherrschaft und dann folgen die Ausführungsbestimmungen: Ihr habt gehört … ich aber sage euch.“ Da kann man nur staunen: Der kein Schriftgelehrter ist, legt die Schrift aus. Der selbst nichts hat, verfügt über Himmel und Erde. Der selber keine Bleibe hat, verteilt Landbesitz. Der ohne Stellung ist, weist den Platz im Himmel an. Er ist selbst das was er sagt.

    Nach Jesu Reichsgesetz preist er die selig, die er selig macht. Was aber heißt „selig“? Nach unserem Sprachgebrauch schläft ein kleines Kind, das eben noch vor Müdigkeit weinte, bald „selig“ ein. Bei Jean Paul „wanderten die Spaziergänger selig langsam heim.“ Selig ist wie ein Zustand des Friedens, des Glücks, eine intensive Form der Gegenwart. Wer möchte nicht selig sein und selig lächeln? Eine Seligpreisung aber preist die Seligkeit nicht an. Sie sagt, was ist. Sie entdeckt eine bisher unbekannte Qualität.

    Seligpreisungen gibt es auch in der alttestamentlichen Weisheit. Wo aber das Judentum sich in besonderer Weise der Zukunft zuwendet, öffnet die Seligpreisung die Vergangenheit und Gegenwart auf die Zukunft hin. Was Jesus in den Seligpreisungen ansagt, ist die Bestimmung der Gegenwart durch seine Zukunft. Der Wanderprediger, dessen Heilungen Aufsehen erregen, heilt indem er sagt: „Selig sind…“ Das geht gleichsam paarweise: „ Selig sind die geistlich Armen … die Trauernden. Selig sind die Sanftmütigen … die hungern und dürsten nach Gerechtigkeit. Selig sind sie Barmherzigen … die reinen Herzens sind. Selig sind die Friedensstifter … die um der Gerechtigkeit willen Verfolgten.“ Und dann als Verdoppelung: „ Selig seid ihr, die um Jesu willen Geschmähten und Verfolgten.“ Am Schluss des Evangeliums aber sagt er: „Und siehe, ich bin bei euch alle Tage bis an der Welt Ende.“ Das heißt „selig“.

    Die Armen, die Trauernden und alle die neunmal Genannten sind selig, weil Jesus bei ihnen ist. Sie bleiben arm. Sie bleiben in der Trauer. Aber sie sind nicht allein. Sie sind selig um Seinetwillen.

    Wenn ich unbeholfen vor einem weinenden Kind stehe, kann ich nicht sagen: Weine nur, bald wirst du schlafen. Wenn aber die Mutter das weinende Kind herzt und wiegt, mag sie ihrem Kind zureden: weine nur, bald schläfst du. Was ich damit sagen will: Die Seligpreisungen hängen an dem, der sie spricht und dem alle Gewalt im Himmel und auf Erden gegeben ist. In dem Maße als die Worte des Bergpredigers Gewalt über uns gewinnen, in dem Maße sind wir selig. O dass wir die Seligpreisungen hören könnten, so dass sie aus ihrer Ecke heraustreten und zur Mitte werden. Was das heißt, möchte ich an drei Kontrast-Beispielen andeuten:

    „Selig sind die geistlich Armen, sagt Jesus in seinem Reichsgesetz. Der Evangelist Lukas streicht das „geistlich“ und fügt ein „Wehe“ über die Reichen hinzu. Der Jesuit Siegmund Kripp schrieb in „Die Zeit“ ein „Plädoyer für eine arme Kirche. Reiche Klöster, Bischöfe im Wohlstand – war Jesus der Gründer der Weltbank?“ Für einen Protestanten genüsslich zu lesen. Nur gibt es im Verhältnis zum Geld keine konfessionellen Unterschiede. Was er schreibt ist leider nicht neu. Vor über 60 Jahren schrieb Dietrich Bonhoeffer den oft zitierten Satz: „Die Kirche ist nur Kirche, wenn sie für andere da ist.“ Nicht zitiert wird in der Regel der Folgesatz: „Um einen Anfang zu machen, muss sie alles Eigentum den Notleidenden schenken.“

    „Selig sind die Barmherzigen“ lehrt der Bergprediger und ein Mediziner diagnostiziert: „Der Mensch wird durch den Menschen krank.“ Ich mache Menschen krank, und Menschen machen mich krank, weil der Text der Bergpredigt in einer Ecke liegt.

    „Selig sind die Friedensstifter“, sagt der Versöhner. Jeden Tag dokumentieren die Medien mit ihren Nachrichten, wie wenig die Welt auf den Bergprediger hört, wie unselig darum die heutige Welt ist.

    Wenn die Seligpreisungen aus dem Winkel treten, werden wir gewahr, wie weit entfernt wir von ihnen sind, wie nötig wir sie haben. Vor allem haben wir den nötig, der sie ausspricht. Betrachten wir Armut, Krankheit und Krieg im Horizont der Bergpredigt, wird eine Unzufriedenheit in uns erwachen, die heilig ist. Der Hunger und Durst, den Jesus seligpreist, der Hunger nach Gerechtigkeit, das ist das Verlangen nach ihm selbst.

    Diese drei Beispiele zeigen, dass die Seligpreisungen kein Weltverbesserungsprogramm sind und doch bergen sie in sich eine Kraft der Veränderung ohnegleichen, weil sie unsere Gegenwart auf seine Zukunft hin verwandeln.

    Die Bergpredigt schenkt uns auch in trostlosen Zeiten ein Lächeln, ein Lächeln auf den Tag hin, der keine Seligpreisung mehr braucht, weil die Seligkeit anbricht. Der auf dem Berg steht und spricht, wird einmal aufstehen und herabkommen, um sichtbar zu machen, was jetzt noch verborgen ist: sein sind alle Reiche der Welt und ihre Herrlichkeit. Und wer auch nur eine kleine Erfahrung mit Jesus gemacht hat, weiß, dass die Zukunft, die er verspricht, sicher ist: Landbesitz, Sättigung, Barmherzigkeit. Gott schauen als seine Söhne und Töchter, das Reich der Himmel haben – das kommt. Hoffentlich sind wir dabei. Amen.

    Eduard von Gebhardt - Dein Reich komme (Die Bergpredigt)
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